Betriebliche Prävention: Wo es krankt

Dass Vorbeugen billiger ist als Heilen, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. Was die betriebliche Prävention in Deutschlands kleinen und mittleren Unternehmen betrifft, legten die Ergebnisse einer von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) durchgeführten Umfrage unlängst etwas anderes nahe. Die Befragten stellten ihren Arbeitgebern kein gutes Zeugnis aus. Die Hälfte von ihnen war der Ansicht, es werde zu wenig dafür getan, dass sie gesund bleiben und sicher arbeiten können [1]. Spiegelt der häufig in Selbstdarstellungen von Unternehmen auftauchende Satz, wonach (gesunde) Mitarbeiter das wertvollste Kapital sind, womöglich mehr Wunschdenken wider als Wirklichkeit?

Nun muss man den KMU zugutehalten, dass sie – anders als große Unternehmen – meist nicht über eigene Themenexperten für Arbeits- und Gesundheitsschutz verfügen; eine mögliche Erklärung für das ebenfalls schlechtere Abschneiden bei der betrieblichen Unfallquote [2].

Präventionskultur als Selbstverständlichkeit

Umso erfreulicher ist eine neue Kampagne der DGUV, die sich unter dem Titel „kommmitmensch“ dafür stark macht, Präventionskultur zu einer selbstverständlichen Haltung von Führungskräften werden zu lassen. Damit das besondere Augenmerk auf Gesundheit und Sicherheit Teil der täglichen Routine werden kann, sind einfache und verständliche Ansätze vonnöten. Diesem Zweck dient eine Broschüre, welche – auf die Belange von KMU zugeschnitten – Führungskräfte dazu motivieren will, Schritt für Schritt in den relevanten Feldern aktiv zu werden [3]. Die Rede ist von Kommunikation, Beteiligung, Betriebsklima, Fehlerkultur und Führung. Zweifelsohne ein vielversprechender und nachahmenswerter Ansatz.

Das Vorleben des richtigen Tuns wird ohnehin immer wichtiger. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man nicht auf die bekannt gewordenen Compliance-Skandale der jüngsten Zeit abheben. Wird regelkonformes Verhalten weder konsequent eingefordert noch vorgelebt, muss man sich über sich alsbald einschleichende quasi-anarchische Zustände nicht wundern. Wohlgemerkt geht es nicht um Pedanterie, sondern um die Existenz von Unternehmen respektive um Leib und Leben von Menschen. Statistiken zur Schluderei beim Tragen von Schutzkleidung zeigen exemplarisch: es gibt viel zu tun [4].

Betriebliche Prävention 4.0

Zusätzliche Herausforderungen für die Verantwortlichen für betriebliche Prävention zeichnen sich derweil im Zuge der Digitalisierung ab. Während moderne Assistenzsysteme starke physische Beanspruchungen im Arbeitsleben aller Voraussicht nach weiter zurückdrängen werden, sind psychische Belastungen auf dem Vormarsch. Zwar steckt das Thema Prävention 4.0 noch in den Kinderschuhen und wird bislang insbesondere von Beratern vielfach als nicht wichtig genug eingestuft, doch das dürfte sich in den kommenden Jahren gründlich ändern. Schon jetzt sorgt etwa der Umgang mit dem Phänomen der permanenten Erreichbarkeit immer öfter für Schlagzeilen. Soll man den Empfang von E-Mails außerhalb der Arbeitszeit technisch unterbinden? Und gilt das gleichermaßen für Führungskräfte, bei denen der Verzicht auf Privatleben scheinbar eingepreist ist?

Eine schlaue Forderung stellte in dem Zusammenhang Arnold Picot, Leiter der Forschungsstelle für Information, Organisation und Management an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Er sprach von der Notwendigkeit einer „Kultur der Selbstverantwortung“ anstelle von Fremdsteuerung – und von dem nötigen Vertrauen von Chefs [5].

Herausforderung Demografie

Um gewissen Auswüchsen des „Smartphone-Zeitalters“ skeptisch gegenüberzustehen, muss man übrigens keineswegs zum alten Eisen gehören. Nebenbei haben ältere Menschen interessanterweise den vermeintlich pfiffigeren „Digital Natives“ in Wahrheit einiges voraus. Letztere fühlen sich tatsächlich häufiger als ihre älteren Kollegen digital überfordert. So lautet das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2016 [6]. Offenbar ist Lebenserfahrung durch nichts zu ersetzen.

Womit wir bei einer anderen Herausforderung für betriebliche Prävention angelangt wären: dem steigenden Durchschnittsalter von Belegschaften. Ursache ist bekanntlich einerseits das steigende Renteneintrittsalter und andererseits der absehbare demografische Wandel, der die Deckung des Bedarfes mit jüngeren Arbeitskräften schwieriger machen dürfte.

Wie immer sind aber auch hier langfristige Prognosen schwierig. Bezeichnenderweise unterscheiden sich die Erwartungen von Bundesregierung und Statistischem Bundesamt deutlich voneinander [7]. Trotz der veränderten Situation durch die erhöhte Migration und das Anwachsen der Geburtenrate ist langfristig von einem Schrumpfen der Bevölkerung auszugehen. Unklarheit herrscht allerdings noch über die Frage des Zeitpunktes. Zuvor soll die Einwohnerzahl Deutschlands laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) bis 2035 um eine Million zunehmen [8].

Eine Frage der Motivation

Dass Unternehmen sich auf die demografische Herausforderung mit relativ einfachen Mitteln einstellen und Produktivitätseinbußen vorbeugen können, weiß man bereits aus älteren Studien zu dem Thema [9]. Und bezüglich der oftmals pauschal zugeschriebenen Begleiterscheinungen des Älterwerdens lohnt ein genauerer Blick: Die Leistungsfähigkeit wird weniger vom Alter bestimmt, als von Faktoren wie Bildung, Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt von der Motivation. Einer sinkenden Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter lässt sich mit gezielten Personalmaßnahmen entgegenwirken, die nicht viel kosten müssen. Der Aufbau gemischter Teams aus Alt und Jung zum Beispiel, der alle von den unterschiedlichen Stärken und Erfahrungen profitieren lässt.

Heutzutage wird viel darüber gesprochen, dass die Herangehensweise bei der Mitarbeiterführung der sogenannten Generation Y eine völlig andere sei. Um Dinge wie Sinnsuche in der Tätigkeit und eine bessere Work-Life-Balance ginge es da beispielsweise, so wird immer wieder behauptet. Über all das gerät fast in Vergessenheit, dass auch ältere Mitarbeiter Menschen sind, die gewisse Ansprüche und Vorlieben haben. Lässt man irreführende Kategorien wie Dankbarkeit weg, so verdienen sie als die bisherigen Leistungsträger ebenso ein spürbares Maß an Wertschätzung, was wiederum die Motivation ganz entscheidend verbessert. Für Unternehmen kann sich das sehr schnell auszahlen. Mittels einer materiell kaum ins Gewicht fallenden Investition lässt sich der Krankenstand spürbar senken, denn unzufriedene Mitarbeiter sind eine extrem teure Angelegenheit – keine neue Erkenntnis [10].

Fazit

Betriebliche Prävention wird immer bedeutsamer und in den Unternehmen auch zunehmend als wichtige Aufgabe aufgegriffen. Wie erwähnt, lassen sich hierdurch am Ende hohe Kosten vermeiden. Dass sich Deutschlands Krankenkassen hier lieber zurückhalten und nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestwert einhalten, war kürzlich in der Ärztezeitung zu lesen [11]. Dabei hängt, die genannten Beispiele zeigen es, gar nicht immer alles am Geld. Einen großen Schritt weiter kommt man als Unternehmen schon dadurch, dass man sich Handlungsbedarf eingesteht. Darüber hinaus kann man viel aus einer Weisheit ziehen, die nicht nur auf Aspekte des Arbeitsschutzes anwendbar ist: Die Menschen würden nicht über Berge stolpern, sondern über Maulwurfshügel, soll Konfuzius gesagt haben.

Michael Graef, Chefredakteur
02.02.2018

Hinweis:

Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen im Wissenschaftsjournal TM 2.0. Die TM 2.0 war die digitale Fortsetzung der 100 Jahre lang in gedruckter Form erschienenen Technischen Mitteilungen (TM), die bereits im Jahre 1907 in Dortmund durch drei Berufsverbände (Rhein.- Westf. Bezirksverein Deutscher Chemiker, Elektrotechn. Verein des Rhein.-Westf. Industrie-Bezirks und Westfälischer Bezirks-Verein Deutscher Ingenieure) gegründet wurden. Aufgegangen ist die TM 2.0 im HDT-Journal.

Quellen:

[1] http://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/pm/pressearchiv/2017/4_quartal/umfrage_kommmitmensch_dguv.pdf

[2] http://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/pm/pressearchiv/2017/4_quartal/verteilung_der_arbeitsunf_lle_im_betrieb_nach_betriebsgroesse_2016.pdf

[3] https://kommmitmensch.de/fileadmin/user_upload/pdf-dokumente/kommmitmensch_selbstverstaendlich_sicher_und_gesund.pdf

[4] https://www.arbeitsschutz-portal.de/beitrag/asp_news/6370/arbeitsschutz-umfrage-zeigt-psa-schluderei-auf.html

[5] http://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/bildung-und-digitale-disruption-a-1128260.html

[6] https://tm20.de/studie-digital-natives-fuehlen-sich-haeufig-digital-ueberfordert/

[7] http://www.deutschlandfunk.de/bevoelkerungsentwicklung-demografische-krise-war-gestern.1148.de.html?dram:article_id=406663

[8] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-10/bevoelkerungsentwicklung-deutschland-2035-waechst-institut-deutsche-wirtschaft

[9] http://www.zew.de/de/presse/pressearchiv/mit-gezielten-personalmassnahmen-sind-unternehmen-geruestet-fuer-den-demografischen-wandel/

[10] https://www.welt.de/wirtschaft/article12491445/Unmotivierte-Mitarbeiter-kosten-Firmen-Milliarden.html

[11] https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/praevention/article/955198/bundesversicherungsamt-kassen-knausern-ausgaben-praevention.html

Bildhinweis:
Thema Betriebliche Prävention – Symbolbild (Quelle: Pixabay.com / Composing TM 2.0)

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