Mobilität: Stau, schau, wem?

Das pfeilschnelle Mobilfunknetz der kommenden, fünften Generation wird – so die Erwartung – die Zukunft der Mobilität vom Labor auf die Straße bringen. Oder besser gesagt: es soll die kommunikativen Voraussetzungen für autonomes Fahren schaffen, indem es Autos ermöglicht, unterbrechungsfrei, in Echtzeit und selbst bei höchsten Geschwindigkeiten miteinander zu ‚reden‘. Wir haben über das Thema verschiedentlich berichtet – beispielsweise in unserer Spezialrubrik „5G – Anwendungsfelder für das Netz der Zukunft“, in der wir gemeinsam mit unserem Partner Ericsson regelmäßig die technologischen Bedingungen und Potenziale der digital vernetzten Welt von morgen beleuchten.

Nicht gleich morgen aber noch 2018 soll mit der Versteigerung der 5G-Lizenzen durch den Bund der nächste wichtige Meilenstein auf dem Weg zur viel zitierten Gigabit-Gesellschaft gesetzt werden. Unterdessen laufen bereits umfangreiche Tests für die Einführung des neuen Standards, egal ob für besagte intelligente Mobilitätsanwendungen oder zum Beispiel für die Fabrik der Zukunft – Stichwort Industrial Internet of Things. Von der fehlerfreien Funktion in der Praxis wird viel abhängen, nicht nur wirtschaftlich. Wenn etwa Autos smart werden und das Steuer übernehmen, geht es um Menschenleben.

Alles andere als smart

Alles andere als smart präsentiert sich hingegen unser heutiger Straßenverkehr. Ein Blick auf die jüngste Staubilanz des ADAC genügt [1]. Auf fast 1,5 Millionen Kilometer addierte sich 2017 der ganz normale Wahnsinn – pro Tag sind das rund 4000 Kilometer. Im Prinzip ein unglaublicher Skandal. Bloß sind die meisten Betroffenen inzwischen völlig zermürbt von den täglichen, zu allem Überfluss steuerlich teuer bezahlten Zumutungen.

Wer allerdings jetzt für den schnelleren Ausbau von Fernstraßen plädiert, läuft Gefahr, unter Verwendung eines Zitats von Hans-Jochen Vogel aus den 70er-Jahren zurechtgewiesen zu werden: „Wer Straßen säht, wird Verkehr ernten.“ Diejenigen, die so argumentieren, stützen sich mitunter auf eine dazu passende Studie von 2011, die unter dem Titel „The Fundamental Law of Road Congestion: Evidence from US Cities“ nachgewiesen haben will, dass mehr Straßen den Individualverkehr attraktiver machen und genau aus diesem Grund noch mehr Verkehr nach sich ziehen, weswegen Straßenbau als Werkzeug zur Stau-Bekämpfung ausscheiden solle [2]. Seltsam ist nur, dass die im Gegenteil seit Jahrzehnten sinkende Attraktivität verstopfter Autobahnen offenbar auch nicht für eine Anpassung der Nachfrage an das zu knappe Angebot gesorgt hat.

Größte Dynamik im EU-Vergleich

Zum Glück hat derlei Denken im Bereich der digitalen Infrastruktur noch nicht Einzug gehalten. Das zuständige Bundesministerium spricht im Rahmen seines milliardenschweren Förderprogramms von der im EU-Vergleich „größten Dynamik beim Breitbandausbau“ [3]. Die ist auch bitter nötig, sofern der vielerorts zu beklagende Standortnachteil einer fehlenden schnellen Internetanbindung langfristig nicht zu gravierenden wirtschaftlichen Verwerfungen führen soll.

Kehren wir vom hoffentlich bald flächendeckend gut ausgebauten Datenhighway zurück zur real existierenden Asphalt-Tristesse: Der immer dichter werdende Verkehr verlangt Fahrerinnen und Fahrern ein Höchstmaß an Konzentration ab. Kommt Zeitdruck hinzu, sind gefährliche Fahrfehler praktisch vorprogrammiert; auch eine Stau-Ursache und zugleich Teil eines Teufelskreises. Aktuell nun vermelden die Unternehmen Bosch, Vodafone und Huawei erfolgreich verlaufende Tests zur Echtzeitkommunikation von Fahrzeugen untereinander [4]. Ziel ist das Realisieren des vorausschauenden Fahrens durch den Austausch von Daten, die außerhalb der Reichweite der jeweils eigenen Fahrzeugsensoren liegen. Erprobt wird das Ganze auf der Autobahn A9 in Bayern, Basis sind erste 5G-Testmodule.

Am Ende allen geholfen

Sehen wir hier vielleicht die Lösung für das Chaos auf unseren Autobahnen heraufdämmern? Wenn wir schon kollektiv 457.000 Stunden im Stau verbringen, entfällt wenigstens eines Tages die Notwendigkeit, konzentriert nach vorne zu schauen, ohne dass es vorwärts geht.

Optimistisch äußerte sich zuletzt auch Ulrich Klaus Becker, Vizepräsident für Verkehr des ADAC: „Das Auto wird sich neu erfinden und Mobilitätsgarant bleiben.“ [5] Wenn schließlich über eine Revolutionierung des Individualverkehrs (das Auto wahlweise als rollendes Wohn-, Besprechungs- oder Arbeitszimmer) die öffentlichen Verkehrsmittel dazu gezwungen werden, nachzuziehen und ihre Kunden wieder in den Mittelpunkt zu stellen, dann ist am Ende allen geholfen – sogar der Umwelt.

Michael Graef, Chefredakteur

30.01.2018

Hinweis:

Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen im Wissenschaftsjournal TM 2.0. Die TM 2.0 war die digitale Fortsetzung der 100 Jahre lang in gedruckter Form erschienenen Technischen Mitteilungen (TM), die bereits im Jahre 1907 in Dortmund durch drei Berufsverbände (Rhein.- Westf. Bezirksverein Deutscher Chemiker, Elektrotechn. Verein des Rhein.-Westf. Industrie-Bezirks und Westfälischer Bezirks-Verein Deutscher Ingenieure) gegründet wurden. Aufgegangen ist die TM 2.0 im HDT-Journal.

Quellen:

[1] https://www.adac.de/der-adac/verein/aktuelles/staubilanz-2017/

[2] https://www.aeaweb.org/articles?id=10.1257/aer.101.6.2616

[3] http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2017/166-schmidt-foerderbescheide-breitband.html

[4] http://www.bosch-presse.de/pressportal/de/de/bosch-vodafone-und-huawei-lassen-schlaue-autos-miteinander-reden-141312.html

[5] https://www.adac.de/der-adac/verein/aktuelles/sondierung-2018/

Bildhinweis:
Thema Digitalisierung und Stau-Bekämpfung – Symbolbild (Quelle: pixabay.com / Composing: TM 2.0)

Bitte geben Sie die Zeichenfolge in das nachfolgende Textfeld ein

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.

Ich habe die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis genommen.