„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht“ – an den Refrain des bekannten Fehlfarben-Songs „Ein Jahr (Es geht voran)“ von 1982 dürfte sich dieser Tage mancher erinnern. Scheinbar kaum etwas ist heute mehr, wie es gestern noch war. Was würde man dafür geben, von der Weltgeschichte weiterhin verschont zu bleiben …
Stattdessen erleben wir aktuell alle gemeinsam einen heftigen Stresstest für die eigenen Nerven und für Wirtschaft und Finanzmärkte. COVID-19 sorgt für die maximale zeitliche Verdichtung von Ereignissen und lässt Lawinen aus Informationen auf uns einstürzen. Trotzdem – oder besser gerade deswegen – müssen wir einen klaren Kopf behalten, um die Lage realistisch einschätzen und rasch vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Hier macht das Wort von der „steilen Lernkurve“ sehr viel Sinn.
Aus dem Winterschlaf erwacht
Man könnte lange über die Frage diskutieren, wieso Regierungen und Geheimdienste im Januar und Februar die Gefahr nicht erkannt haben und vermeintlich erst jetzt aus dem Winterschlaf erwacht sind. Was aber hilft es im Augenblick? Besonders in den sozialen Netzwerken streiten Pessimisten und Optimisten über Wasserstände in Trinkgläsern und des Kaisers Bart. Pragmatiker nutzen lieber die wenige verbleibende Zeit, um zu retten, was zu retten ist. Allen voran Ärzte und medizinisches Personal. Sie leisten in diesen Tagen Gigantisches. Dabei stellt allein der Normalbetrieb aufgrund des Kostendrucks seit Jahren eine Herausforderung dar. Eine von vielen Fehlentwicklungen, die die Politik bald korrigieren muss …
Positiv ist, dass sich in diesen Tagen weltweit bei den politisch Verantwortlichen die Erkenntnis durchsetzt, dass wir es nicht mit einer kurzfristigen Krise zu tun haben, sondern mit einem Jahrhundertereignis. Während Rick Rieder, Chief Investment Officer von BlackRock, von einer „Once in a lifetime“-Chance für Aktienkäufe spricht, und der mit riesigen Barmitteln ausgestattete Warren Buffet auf Firmen-Einkaufstour geht, sieht die Mehrzahl der Menschen und Unternehmen ihre Liquidität schwinden. Zehntausende Jobs sind in Gefahr – und ständig werden es mehr.
Die Mutter aller Löschzüge
Zahlreiche Firmen haben ausgerechnet in Folge massiver Aktienrückkäufe einen großen Teil ihrer liquiden Mittel eingebüßt und geraten nun in Schieflage. Die meisten Jobs hängen allerdings sowohl in den USA als auch hierzulande von kleinen und mittleren Unternehmen ab. Häufig verfügen sie lediglich über geringe Reserven, weshalb die Uhr tickt. Um den drohenden unkontrollierbaren Flächenbrand zu vermeiden – das hat nach anfänglicher Verharmlosung inzwischen die US-Regierung ebenso verstanden –, braucht es die Mutter aller Löschzüge. Sonst bewahrheitet sich unter Umständen, wovon Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), zuletzt sprach: Dass wir nämlich die Mutter aller Rezessionen erleben werden. Benötigt werden Billionen, nicht Milliarden.
Ganz so schnell kommt die Kavallerie in den USA jedoch nicht in Gang. Republikaner und Demokraten sind bekanntlich tief zerstritten und noch dazu im Wahlkampfmodus. Dringend bräuchte es den „United we stand“-Geist, von dem Ende 2001 überall im Land T-Shirts, Anstecknadeln und Plakate kündeten. Muss die Not erst größer werden? US-Finanzminister Mnuchin fühlte sich bereits genötigt, öffentlich vor einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent zu warnen, um den Handlungsdruck zu erhöhen. In normalen Zeiten hätte man hinter verschlossenen Türen verhandelt, um die Menschen nicht vollends zu verunsichern. Aber was ist dieser Tage schon normal?
Whatever it takes
Mehr Geschlossenheit zeigen momentan Bundesregierung und Landesregierungen. Nach einem Spätstart hat man innerhalb weniger Tage mit der Ausweitung des Kurzarbeitergeldes und dem Rettungsschirm für Unternehmen erste beachtliche Bretter gebohrt. Die vorübergehende Änderung der Insolvenzregelung, Steuerstundungen und viele andere Maßnahmen sind richtig und nötig, um der Wirtschaft und den Menschen die eingangs angesprochene Atempause zu geben.
Nein, das wird keine Lobhudelei, denn viel bleibt zu tun, um Menschenleben zu schützen und den Kollaps des Gesundheitssystems, eine Pleitewelle sowie soziale Härten abzuwenden. Nur ein Beispiel: Eine Haftungsfreistellung der Hausbanken von 100 statt 70 Prozent bei den zu beantragenden Sonderkrediten der staatlichen Förderbank KfW wäre wichtig, damit die Vergabe in Schwung kommt. Ob sich das durch die Politik in Draghi-Manier abgegebene „Whatever it takes“-Versprechen indes überhaupt halten lassen wird, hängt sehr stark davon ab, wieviel Schaden die Weltwirtschaft insgesamt durch die Corona-Krise nimmt. In diesen Schicksalstagen können wir zusätzliches Glück gut gebrauchen. Einem antiken Sprichwort zufolge soll es den Tüchtigen helfen. Das zumindest lässt hoffen.