Exakt ein Vierteljahrhundert ist es jetzt her, dass erstmals ein Schachweltmeister unter realen Turnierbedingungen in einem Match über mehrere Partien durch einen Computer geschlagen werden konnte. Getroffen hat es 1997 in Philadelphia Garri Kasparow. Im Jahr davor hatte dieser schon einmal eine Partie gegen den von IBM entwickelten Supercomputer namens Deep Blue verloren. Der Gesamtsieg ging damals noch an Kasparow. Ein Jahr später dann gab der 1963 in Baku geborene Großmeister der mittlerweile überarbeiteten Maschine eine Revanche und unterlag mit 2,5:3,5. Zuvor hatte er sich das Ziel gesetzt, in der sechstgrößten Stadt der USA die Ehre der Menschheit zu verteidigen. Doch sein Plan, das Elektronenhirn in der Eröffnungsphase der sechsten und letzten Partie am 11. Mai 1997 mit einem Bauernopfer quasi zu verunsichern, ging nicht auf. Nach nur 19 Zügen verlor er mit Schwarz gegen die Maschine, die inzwischen unglaubliche 200 Millionen Stellungen pro Sekunde berechnen konnte.
Nicht zu berechnen
Wenn nicht aufgrund diese technologische Zäsur, so wuchsen spätestens 2016 infolge des weltweit mit großem Interesse verfolgten Wettkampfs zwischen dem besten Go-Spieler, dem Südkoreaner Lee Sedol, und der Software AlphaGo des Londoner Unternehmens DeepMind die Sorgen vor einer baldigen Übermacht künstlicher Intelligenz. Vier von fünf Partien gingen an AlphaGo. Wobei festzuhalten ist, dass sich der Weg zum Erfolg wegen der ungleich höheren Komplexität des Go-Spiels nicht einfach berechnen lässt. Eine durchschnittlich lange Partie kann unvorstellbare 10 hoch 170 mögliche Stellungen annehmen. Der Ansatz zur Lösung des Problems ist daher eine Art Emulation der menschlichen Intuition, die technische Basis dafür ist das selbständige Lernen künstlicher neuronaler Netzwerke.
Mensch bleiben
Intuition und Kreativität bei Computern? Was bleibt künftig überhaupt noch Menschen vorbehalten? Oder ist das vielleicht die falsche Frage? 2022 erlebt die Welt, dass die größte Gefahr gegenwärtig nicht von unkontrollierbaren Maschinen ausgeht, vor denen seit Jahren zu Recht gewarnt wird, sondern von einem unberechenbaren Despoten, der friedliebende Menschen überfallen und ermorden lässt – und allen, die bereit sind zu helfen, offen mit Vernichtung droht. Schon Konrad Zuse gab zu bedenken, dass die Gefahr, dass der Computer so wird wie der Mensch, nicht so groß ist wie jene, dass der Mensch so wird wie der Computer – also kalt und inhuman. Garri Kasparow jedenfalls hat Computern trotz seiner historischen Niederlage eines voraus: Er erkannte frühzeitig, was für ein Mann in Moskau an der Macht ist, engagierte sich gegen den russischen Diktator und verglich dessen Regierung mit der Mafia, als man sich hierzulande noch um gute Geschäftsbeziehungen bemühte …
Autor: Michael Graef, 11.05.2022