Kalenderblatt: Thor Heyerdahls Ra II erreicht Barbados – 12. Juli 1970

Mit Ausnahme der Tiefsee ist die Erde heute nahezu vollständig entdeckt, kartografiert und dank satellitengestütztem Internet zusätzlich auf dem besten Weg, lückenlos digital vernetzt zu sein. Komplett aus dem Weltraum überwacht wird sie ohnehin bereits. Das sah vor einem halben Jahrhundert ganz anders aus. Abenteuer im Sinne von Pioniertaten waren damals noch in ganz anderem Maße möglich. Beispielsweise zur See, die bekanntlich rund 70 Prozent der Oberfläche unseres Planeten ausmacht.

Beweisführung mittels antikem Hightech

Eine solche Fahrt ins Ungewisse unternahm 1970 der norwegische Forschungsreisende und Archäologe Thor Heyerdahl samt Mannschaft mit dem Ziel, seine Annahme zu beweisen, dass es in prähistorischen Zeiten Kontakte zwischen den alten Zivilisationen Afrikas und Amerikas gegeben habe, was die auffälligen Übereinstimmungen verschiedener afrikanischer, südamerikanischer und polynesischer Kulturdenkmäler erklären würde. Heyerdahl glaubte, dass solche Kontakte über den Atlantik mithilfe von aus heutiger Sicht primitiven Wasserfahrzeugen – jedoch Hightech der Antike, wenn man so will – stattgefunden haben könnten.

Das speziell angefertigte Papyrusboot Ra II, das von Heyerdahl gemäß antiken ägyptischen Vorbildern entworfen wurde, stach am 17. Mai 1970 vor Marokko in See. Westwärts segelte man 57 Tage auf dem Atlantik, bevor am 12. Juli 1970 die Küste von Barbados erreicht werden konnte. Die erfolgreiche Überfahrt bewies, dass Menschen schon vor Jahrtausenden technisch in der Lage gewesen wären, den Ozean zu überqueren, und stützte somit Heyerdahls Theorie von möglichen transatlantischen Kontakten in der Antike.

Die Rolle der Ra II für die Entstehung heutiger Umweltschutz-Verpflichtungen

Die Ra II war indes nicht Heyerdahls erster Versuch, seine These zu bestätigen. 1969 unternahm er einen ersten Versuch mit dem Vorgänger der Ra II – der Ra. Dieses erste Papyrusboot zerbrach aufgrund von Konstruktionsfehlern und ungünstigen Wetterbedingungen, bevor es sein Ziel erreichen konnte. Was einmal mehr beweist: Wer sich von Rückschlägen nicht abhalten lässt, kann letztlich Großes erreichen.

Eine Leistung Heyerdahls, die fast in Vergessenheit geraten ist, liegt in der Sensibilisierung der Weltöffentlichkeit für Fragen des Umweltschutzes. Und zwar konnten im Verlauf der Reisen mit der Ra und der Ra II signifikante Ölverschmutzungen im Atlantik dokumentiert werden, was dazu beitrug, dass erste internationale Umweltschutzabkommen getroffen wurden. Thor Heyerdahl ist daher nicht nur als derjenige anzusehen, der die experimentelle Archäologie bekannt machte, sondern zudem ein bedeutender Pionier der Umweltbewegung.

Welche Grenzen?

Als Heyerdahl 1947 mit seiner erfolgreichen Kon-Tiki-Expedition als der Überquerung des Pazifiks von Peru nach Polynesien auf einem Floß aus Balsaholz erstmals international für Schlagzeilen sorgte, war die ökologische Situation freilich noch eine andere. Der größte Ozean der Erde zeigte sich vom menschlichen Einfluss praktisch unberührt, war nicht überfischt oder durch Unmengen an Abfällen – allen voran Plastikmüll – verschmutzt. 

Heyerdahls Warnung, dass ein vergifteter Ozean gleichbedeutend sei mit einem toten Planeten, sollte uns heute lebenden Menschen eine Richtschnur für unser Handeln sein. International und weltweit! Denn wie sagte der Sohn eines Brauereibesitzers, der in den 1930er-Jahren in Oslo sein Studium der Zoologie und Geografie aufnahm, so treffend: „Grenzen? Habe ich noch nie gesehen. Aber ich habe gehört, dass sie existieren, in den Gedanken einiger Menschen.“

Zur schicksalhaften ökologischen Herausforderung der Rettung der Meere passt dieser Gedanke ganz besonders gut, sah Heyerdahl sie doch überdies – und in völliger Übereinstimmung mit seinen Forschungsergebnissen – nicht als etwas Trennendes an, sondern als Verbindungswege zwischen Völkern und Kontinenten.

Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 12.07.2024 

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Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.

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