Viel wird gegenwärtig darüber geredet, dass Deutschland an einem Scheideweg angekommen ist – Stichwort „Zeitenwende“. Doch schon länger als seit dem 24. Februar 2022 erleben wir den Beginn historischer Machtverschiebungen und gewaltige technologische Sprünge hin zu einer völlig anderen Welt von morgen. Dass daraus, was die Sicherung des künftigen Wohlstands betrifft, große Herausforderungen resultieren, ist evident. Auf früheren Lorbeeren wie der Beherrschung des konventionellen Automobil-, Maschinen- und Anlagenbaus wird man sich – das ist ebenfalls unstrittig – nicht ausruhen können.
Warum müssen wir uns neu erfinden?
Selbst wenn man punktuell aufholt, ist der Rückstand in den Bereichen Digitalisierung und künstliche Intelligenz – um bloß zwei Beispiele zu nennen – in allen Branchen längst zu einem massiven Problem geworden, das von Themen wie Energiekrise oder Fachkräftemangel lediglich überdeckt wird. Es drückt sich in einer problematischen systematischen Abhängigkeit von ausländischen Unternehmen aus, die direkt oder indirekt einen immer größeren Teil unserer Infrastruktur (und unseres Lebens insgesamt) kontrollieren. Daher muss Deutschland ganz offenbar einen Weg finden, seinen wichtigsten Rohstoff, der in den Köpfen der Menschen liegt, gezielter zu fördern respektive einzusetzen.
Aber geht das überhaupt? Lässt sich der Erfindergeist von außen ankurbeln? Und vor allen Dingen: Ist es damit allein getan, wenn wir unseren Platz an der Weltspitze behaupten wollen?
Kreativität ist gut, erfinden und erfolgreich vermarkten ist besser
Jemand, der sagt, dass sich Kreativität erlernen und das Erfinden systematisieren lässt, hat jetzt ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Von der Idee über die Erfindung zum Patent“. Autor Dr. rer. nat. Dietmar Zobel zeigt darin der Leserschaft auf, wie man anhand von Kreativitätstechniken Routinen entkommt und zu neuen Ideen kommt. Zobel, der selbst Erfinder, Inhaber zahlreicher Patente und zugleich Industriechemiker ist, erläutert außerdem, worin Kreativität eigentlich besteht und in welche Denkfallen man tappen kann. Ebenso Gegenstand der Betrachtungen ist die mindestens genauso wichtige Frage, wie es nach einer guten Idee weitergeht. Sprich: Wie lässt sich eine Innovation schützen und mit ihr Geld verdienen? Denn machen wir uns nichts vor: Deutschland belegt nach wie vor einen Spitzenplatz in Sachen Patentanmeldungen. Allerdings hat man in der Vergangenheit allzu oft bei uns erfunden, während die wirtschaftlichen Früchte im Ausland geerntet wurden.
Oft genannt wird in dem Zusammenhang das MP3-Kompressionsformat. Weniger bekannt ist das ältere Beispiel des tragbaren Musikabspielgeräts mit Kopfhörer – zum Mega-Verkaufserfolg gemacht durch die Japaner unter der später generisch gewordenen Marke „Walkman“. Weitere deutsche Erfindungen, die im Ausland für Wertschöpfung sorgten, sind die „LCD-Technik“, das Faxgerät (egal wie sehr man es heutzutage belächelt) sowie – noch weitaus wichtiger – die Vorläufer heutiger Computer. Ja selbst der Hybridmotor stammt als Konzept ursprünglich aus Deutschland, wurde aber gleichfalls nicht als Chance erkannt. Genau wie die Magnetschwebebahn „Transrapid“, die jetzt nicht in Deutschland, sondern in Asien für schnelle Verbindungen sorgt.
Keine Frage von Genialität
Man kann Dietmar Zobels Buch nur guten Erfolg wünschen. Es ist fachübergreifend nützlich und inspirierend sowie allein aufgrund der Ausführungen zum Luftfahrt-Pionier Hugo Junkers lesenswert. Für die Notwendigkeit von Hilfestellungen wie jenen von Zobel spricht übrigens auch, dass im Unterschied zur Situation bei den absoluten Zahl der Patentanmeldungen bei der relativen Zahl der Patente pro Kopf und Jahr unser Land gar keine so glänzende Figur macht. Die Schweiz etwa ist uns weit voraus – und zwar beinahe mit Faktor drei. Wer sich fragt, ob etwa die gesunde Bergluft Vorteile verschafft, findet in „Von der Idee über die Erfindung zum Patent“ einige interessante Hinweise. Erfinder zeichneten sich nicht dadurch aus, dass sie in jedem Fall überdurchschnittlich begabt oder intelligent sind, lernt man hier.
Ein Grund mehr, in der Breite der Gesellschaft das Bewusstsein für die Bedeutung des Themas Innovation zu stärken und bereits in der schulischen Ausbildung darauf hinzuwirken, dass Menschen sich ihrer kreativen Möglichkeiten bewusst werden und lernen, diese zu entwickeln und zu nutzen. Also weniger Eliteförderung und mehr von dem, was sich zur Zeit Obamas „No Child Left Behind“ nannte.
Dietmar Zobel
Von der Idee über die Erfindung zum Patent
Narr Francke Attempto Verlag
Kartoniert, 380 S, Format: 15 x 21,5 cm
1. Auflage (November 2022)
ISBN: 9783825258955
https://www.narr.de/von-der-idee-über-die-erfindung-zum-patent-45895/
Autor: Michael Graef, 13.01.2023