Wohin geht die Reise bei Fahrzeugsitzen? Unser aktuelles Experteninterview

Fahrzeugsitze als Schnittstelle, Nachhaltigkeitsfaktor und Alleinstellungsmerkmal – so ungefähr könnte das Motto lauten für die jeweils von einer Fachausstellung begleitete jährliche HDT-Fachtagung „Fahrzeugsitze“. In das Thema ist so viel Bewegung gekommen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Da sind zum einen die immer strengeren Flottengrenzwerte auf dem Weg zur Dekarbonisierung und die wachsenden Erwartungen der Öffentlichkeit hinsichtlich der Nachhaltigkeit, die für Veränderungsdruck sorgen. Zum anderen wird die absehbare Automatisierung des Fahrens (vollautonomes Fahren gemäß Level 5) die Rolle des Automobils und dementsprechend auch die Ansprüche an das Sitzen und den Sitzkomfort deutlich verändern. 

Wer bei der Reise sitzen bleibt und welchen Automotive-Herstellern es gelingt, ihre Marktposition zu behaupten oder auszubauen, wird die Zeit zeigen. Wir haben heute schon Antworten zweier ausgewiesener Fachleute auf Fragen, die sich im Vorfeld der 16. Tagung „Fahrzeugsitze“ stellen. Sie stammen von Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter (Hochschule Ravensburg-Weingarten) und Dr.-Ing. Christian Mergl (Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG, Coburg), beides Vortragende am 27.-28. September 2023 in Essen.

HDT-Journal: Die Tagung „Fahrzeugsitze“ wird 2023 einmal mehr die neuesten Entwicklungen im Bereich Funktionalität, aber auch zu Materialien und Fertigung vorstellen. Welche Aspekte sind für Sie aktuell am interessantesten und warum?

Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter: Für mich sind die neuesten Entwicklungen im Bereich der Funktionalität von Sitzanlagen am interessantesten, da wir am Beginn eines Umbruchs der Nutzung von Fahrzeugen stehen und hier viele interessante Innovationen erwarten können.

Dr.-Ing. Christian Mergl: Neben der ständigen Optimierung der aktuellen Produkte hinsichtlich Qualität und Kosten gewinnt das Thema Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Hier gilt es die Sitze neu zu denken und den Energie- sowie den Ressourcenverbrauch in der Fertigung und im späteren Gebrauch auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Hierzu sind zum Teil völlig neue Lösungsansätze gefragt.

HDT-Journal: Welchen Beitrag können Fahrzeugsitze in puncto Nachhaltigkeit künftig leisten?

Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter: Die Sitzanlage ist ein wichtiger Bestandteil des Fahrzeugs; 10 bis 20 Prozent der eingesetzten Ressource betreffen die Sitzanlage. Daher müssen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft auch bei der Sitzanlage berücksichtigt werden. Die Tagung liefert hier interessante Denkansätze und Lösungsmöglichkeiten.

Dr.-Ing. Christian Mergl: Die Sitze haben einen großen Anteil an der Wertschöpfung und am Gewicht des Innenraums im Fahrzeug. Daher ist der Beitrag von Fahrzeugsitzen zum Thema Nachhaltigkeit in Fahrzeugen groß.

HDT-Journal: Welche Rolle spielen Fahrzeugsitze für die Kaufentscheidung beziehungsweise Markenpräferenz?

Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter: Der Fahrzeugsitz ist eine primäre Schnittstelle zum Kunden und beeinflusst bewusst und unterbewusst Kaufentscheidungen. Keine andere Baugruppe des Fahrzeugs kann, bei schlechter Auslegung, in ähnlichem Ausmaß Schmerzen erzeugen. Der Einfluss der Sitzanlage ist daher auf ähnlichem Niveau wie Fahrleistung und äußeres Karosseriedesign zu betrachten.

Dr.-Ing. Christian Mergl: Der Fahrzeugsitz ist für den Langstreckenkomfort in einem Fahrzeug der maßgebliche Einflussfaktor. So spielt der Sitz eine zentrale Frage bei der Markenbindung. Ein guter Sitz führt dazu, der Marke treu zu bleiben, ein schlechter Sitz führt dazu, dass sich der Kunde für eine andere Marke entscheidet.

HDT-Journal: Wie werden sich die Anforderungen an Fahrzeugsitze verändern, wenn echtes autonomes Fahren (gemäß Level 5) Marktreife erlangt?

Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter: Die Anforderungen an Fahrzeugsitze werden sich nahezu komplett wandeln, wenn echtes autonomes Fahren (Level 5) Marktreife erlangt. Die Entlastung von der Fahraufgabe führt zu einem komplett gewandelten Nutzungsverhalten; die Sitzanlage kann zu einem neuen Erleben des Fahrzeugs beitragen.

Dr.-Ing. Christian Mergl: Die Anforderungen bezüglich Komfort werden zunehmen. Dies führt zu einer variableren Nutzung des Innenraums. So müssen die Sitze die unterschiedlichen Szenarien wie Arbeiten oder Entspannen ermöglichen. Das Thema Liegefunktion sei hier exemplarisch genannt.

HDT-Journal: Welche Erwartungen haben Sie zusammenfassend persönlich an die Tagung und warum sollte man auf jeden Fall im September dabei sein?

Prof. Dr.-Ing. Ralf Stetter: Nach der Bewältigung der Covid-Pandemie wird die Tagung im September nach einigen Jahren wieder alle Beteiligten bei der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugsitzen zusammenbringen. Hochwertige, innovative Vorträge und die Möglichkeit zu einem intensiven Gedankenaustausch machen den Besuch der Tagung so wertvoll.

Dr.-Ing. Christian Mergl: Die Tagung bietet die Möglichkeit, sich mit der Sitzentwicklungsgemeinschaft in einem angenehmen und neutralen Rahmen auszutauschen und so auf den neuesten Stand gebracht zu werden hinsichtlich neuer Trends, Technologien oder neuer Produkte.

Die Fragen stellte Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal

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