Viel wird gegenwärtig über eine allgemeine Überregulierung für Unternehmen gesprochen – um nicht zu sagen: geklagt. Es entsteht der Eindruck, dass sich im internationalen Vergleich zunehmend Wettbewerbsnachteile für die heimische Wirtschaft ergeben. Was die Fertigungsindustrie betrifft, sollen gesetzliche Regularien und Normen nicht zuletzt vor Produktschwankungen schützen, die in vielen Bereichen gefährliche Konsequenzen haben können.
Hier den Überblick zu behalten und die Einhaltung von Standards und Toleranzen zu managen beziehungsweise gewährleisten ist eine herausfordernde, aber ungemein wichtige Aufgabe. Der Grund ist einfach: Alles, was auf Produktqualität und -sicherheit einzahlt, wirkt sich positiv auf das Vertrauen in Marken und die Stellung im Wettbewerb aus.
Über das vielschichtige Thema der Conformity of Production (CoP) und die damit verbundenen Pflichten und Chancen sprachen wir mit Mark Haacke. Der Diplom-Ingenieur (BA) für Fahrzeugtechnik ist ausgewiesener Fachmann für Produktsicherheit und Produkthaftung, Marktüberwachung, Rückrufe und Homologation.
HDT-Journal: Herr Haacke, gestatten Sie zu Beginn eine vielleicht etwas unfaire, weil gewiss nicht pauschal beantwortbare Frage: Leiden Industrie und Wirtschaft tatsächlich unter einem „Regulation overload“ oder ist mit Blick auf so wichtige und allgemein wünschenswerte Ziele wie höhere Produktsicherheit oder besseren Klima- und Umweltschutz künftig sogar mehr Regulierung nötig?
Mark Haacke: Bei der Regulierung wäre zu unterscheiden, ob diese sich auf Schutzziele wie Sicherheit, Umwelt, öffentliche Gesundheit aber auch den Marktzugang bei einheitlichen Bedingungen bezieht oder die Regulierung Verwaltungstätigkeiten in den Unternehmen betrifft.
Regulierungen für ein hohes Maß an Sicherheit, fairen Wettbewerb und Umweltschutz halte ich für sehr wichtig – wobei der Gesetzgeber hier ein hohes Augenmerk auf eine geringe Komplexität der Regelungen haben muss.
Was Verwaltungstätigkeiten in Unternehmen angeht, muss man feststellen, dass die Bürokratie ein wesentliches Hemmnis für den Erfolg der deutschen Unternehmen darstellt und damit einen Wettbewerbs- und Standortnachteil ist. Diese Regelungen dienen kaum der Produktsicherheit, dem Umweltschutz oder Verbraucherschutz.
HDT-Journal: Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit und Expertise liegt bei der sogenannten Conformity of Production. Könnten Sie insbesondere für Leserinnen und Leser, die sich neu mit den Themen Produktsicherheit und Produkthaftung befassen, einmal ganz kurz erläutern, welche gesetzlichen Regelwerke in diesem Zusammenhang Relevanz besitzen?
Mark Haacke: Das entsprechende Regelwerk nimmt an Komplexität zu. Neben den Richtlinien (EU) 168/2013 und EU 167/2013 ist insbesondere die Rahmenverordnung (EU) 2018/858 von hoher Bedeutung. Diese wird inzwischen ergänzt durch die VO (EU) 2019/2144. Beide werden flankiert von einigen Durchführungsverordnungen. Die wesentlichen formellen Anforderungen finden sich in der (EU) 2018/858 Anhang IV, sowie Art. 31. Konkrete Anforderungen an CoP finden sich in der Regel dann in den Einzelnormen, die häufig UN-Regelungen sind.
Wer ist Mark Haacke?
Mit über 25 Jahren Berufserfahrung in der Automobilbranche und über 20 Jahren Erfahrung bzgl. gesetzlicher Anforderungen ist Dipl. Ing. (BA) Mark Haacke im Bereich Genehmigungen von Kraftfahrzeugen und deren Ausrüstungsgegenständen als Trainer und Berater tätig.
Beruflich durchlief er diverse Positionen in den Bereichen Homologation, Rückrufe und Qualitätssicherung. Daraufhin begann er seine Erfahrungen praxisnah in Form von Schulungen und Workshops in der Tätigkeit als Trainer zu vermitteln.
Weitere Informationen:
Mark Haacke
Training&Consulting GmbH
www.markhaacke.de
HDT-Journal: Welche Rolle kommt hierbei in Unternehmen dem Product Safety and Conformity Representative (PSCR) zu?
Mark Haacke: PSCR beschreibt die Rolle des Verantwortlichen für die Produktintegrität – als Zusammenführung der Anforderungen an die Produktsicherheit und Produktkonformität. Der PSCR ist dabei der „Knoten“ im Unternehmen, aber auch bezogen auf die Lieferkette, um die Produktsicherheit und -konformität sicherzustellen. Ihm kommt hierbei sehr viel Verantwortung zu, was eine hohe Kompetenz erfordert, um dieser Verantwortung wirklich gerecht werden zu können.
HDT-Journal: Handelt es sich beim Product Safety and Conformity Representative nur um einen anderen Namen oder gibt es nennenswerte Unterschiede zum klassischen Produktsicherheitsbeauftragten?
Mark Haacke: Der Produktsicherheitsbeauftragte hat(te) die Verantwortung allein für die Sicherheit der Produkte. Die (Sicherung der) Konformität lag und liegt vor allem in der Hand der Verantwortlichen für Homologation und CoP.
Hier wird schon erkennbar, dass sich die Verantwortung auf mehrere Rollen und Personen verteilt, was zu Risiken führen kann.
Die Rolle des PSCR ist dabei keine gesetzliche Forderung, sondern ein etablierter Industriestandard, der dazu dient, die gesetzlichen Anforderungen an die Produkte in der Hand eines Verantwortlichen zu regeln sowie sicherzustellen, dass es keine Lücken geben kann.
HDT-Journal: Wenn es um die Einhaltung von Spezifikationen und Leistungskriterien von Produkten geht, scheint es sinnvoll zu sein, den oder die für CoP Zuständigen von Anfang an – also bereits in die Produktentwicklung und Typgenehmigung – einzubeziehen. Ist das Wunschdenken aus Laiensicht oder tatsächlich gelebte Realität?
Mark Haacke: Insbesondere bei den Fahrzeugherstellern ist das gelebte Praxis, da diesen bewusst ist, dass die CoP-Verpflichtung mit CoP-Q lange vor Serienanlauf beginnt. Bei den Lieferanten und auch bei kleineren beziehungsweise jüngeren Fahrzeugherstellern kommen diese wichtigen Anforderungen an CoP, insbesondere in der frühen Phase der Produktentwicklung und Typgenehmigung, viel zu kurz, wodurch nicht nur wirtschaftliche Risiken entstehen.
HDT-Journal: Wie verträgt sich das heute populäre Fail-Fast-Prinzip mit der Produktsicherheit und dem Risikomanagement? Oder anders formuliert: Sind schnelleres Time-to-Market und die Vermeidung von Produkthaftung und teuren Rückrufen Zielkonflikte?
Mark Haacke: Wenn insbesondere die Verantwortlichen für Homologation, CoP sowie Marktüberwachung und Rückrufe frühzeitig in den Prozess eingebunden werden beziehungsweise bei der Bearbeitung der FMEA und der Produktgestaltung beratend zur Seite stehen, können die entsprechenden Prozesse wie Typprüfung sogar ein Mittel sein, um Produkte schneller auf den Markt bereitstellen zu können, auch ohne Kompromisse hinsichtlich Produktsicherheit und Produktkonformität eingehen zu müssen.
HDT-Journal: Wird das Thema Conformity of Production Ihrer Meinung nach in der Markenkommunikation – egal ob bei B2B oder B2C – ausreichend gespielt oder gibt es hier ungenutztes Potenzial etwa was das Storytelling betrifft? Allgemein könnte man den Eindruck gewinnen, man erfährt – wie in den Nachrichten auch – immer nur dann etwas, wenn Dinge schief laufen …
Mark Haacke: Das ist eine gute Fragestellung. Ein Beispiel: Als Opel hinsichtlich des Diesel-Skandals im Fokus stand, hat der damalige Vorstandsvorsitzende sich explizit auf Nachweise im CoP berufen, um zu belegen, dass keine Anhaltspunkte für Manipulation an den Dieselfahrzeugen gegeben sind [1].
Grundsätzlich ist aber richtig, dass CoP auch im Austausch mit Behörden, wenn es um Rückrufe geht, selten als Entlastungsmittel genutzt wird, und somit auch bei der Außenkommunikation selten Erwähnung findet.
HDT-Journal: Herr Haacke, wir danken Ihnen für die spannenden Ausführungen und wünschen Ihnen für Ihre wichtige Arbeit weiterhin viel Erfolg.
Die Fragen stellte Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal
Quellen:
[1] vgl. das offizielle Statement von Opel (Stellantis) vom 15.10.2018: https://www.media.stellantis.com/at-de/opel/press/opel-statement-zum-kba-verfahren
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