Zuallererst trifft es die Blue Collars … Dieses alte Narrativ zur Reihenfolge der Substitution beziehungsweise Entwertung menschlicher Fähigkeiten durch Maschinen scheint im Begriff, widerlegt zu werden. Offenbar tut sich künstliche Intelligenz (KI) mit dem schadlosen Steuern von LKW durch enge Altstadtgassen weitaus schwerer als mit dem Verfassen von Rechtsgutachten oder dem Erstellen von Dienstplänen. Das könnte gravierende Folgen für den Wohlstand ganzer Berufsgruppen von White Collars haben. Oder aber KI wird zum volkswirtschaftlichen Segen, weil sie dabei hilft, die Herausforderung des demografischen Wandels zu lösen, der den Fachkräftemangel zusehends verschärft. Genau kann das derzeit niemand sagen. Fest steht hingegen schon jetzt, dass der Siegeszug von KI die digitale Sicherheitslage verändert. Worauf man sich einstellen muss, fragten wir den Experten für IT- und Cybersecurity Andreas Kunz vom Ettlinger Unternehmen Connecting Media.
HDT-Journal: Herr Kunz, es vergeht kaum mehr ein Tag ohne Schlagzeilen zu ChatGPT und dem technologischen ‚Wettrüsten‘ von Firmen wie Microsoft und Alphabet. Jüngst wurde von einem Vorfall berichtet, bei dem der Chatbot plötzlich zutraulich geworden sein und mit einer Liebeserklärung überrascht haben soll. In einem weiteren Fall soll die Software eine Person sogar bedroht haben [1]. Müssen wir uns darauf einstellen, dass Algorithmen eines fernen Tages quasi aus Langeweile oder Übermut Firmennetzwerke hacken und unsere Infrastruktur lahmlegen?
Andreas Kunz: So pauschal lässt es sich nicht beantworten, da es immer drauf ankommt, in welchem Kontext man die neuen Technologien einsetzt. Nehmen wir doch mal als Beispiel Drohnen. Diese können in positivem Kontext benutzt werden wie für die Zustellung von Paketen, für die Inspektion von Windenergieanlagen, als autonome Flugtaxen und so weiter. Aber eben auch für kriminelle Aktivitäten wie Drogenschmuggel, strategische Kriegsführung und dergleichen. Man kann stark davon ausgehen, dass es sich mit der KI genauso entwickeln wird. Dieser kann man ja bekanntlich alles antrainieren. Somit wäre es mit einem „guten“ Trainer auch möglich, dass KI dafür eingesetzt wird, automatisiert Firmen anzugreifen.
HDT-Journal: Ein wichtiges Einfallstor bei Cyberangriffen ist ja zweifellos der Mensch vor dem Rechner. Sehen Sie hier eine neue Klasse von Gefahren auf uns zukommen?
Andreas Kunz: Die wichtigste Firewall im Unternehmen ist und bleibt der Mensch. Wir bekommen schon täglich durch Phishing-E-Mails oder CEO-Frauds vorgeführt, wie hoch die Trefferquote ist. KI kann selbstverständlich dazu verwendet werden, noch eine Schippe drauf zu legen. Daher ist die Einbindung der Mitarbeiter beim Thema Sicherheit so fundamental wichtig. Es muss in die DNA der Firma übergehen – und dabei müssen Technologien Verwendung finden, die von den Anwendern verstanden werden. Das Implementieren klarer Prozesse und Richtlinien schafft Vertrauen und fördert sichere Verhaltensweisen. Sicherheit dreht sich definitiv nicht nur um IT, es ist immer ein Zusammenspiel aus Technik, Mensch und Prozessen.
Wer ist Andreas Kunz?
Andreas Kunz ist Experte für IT- und Cybersecurity mit tiefer Verwurzelung im Security- und Netzwerkbereich. Der CEO und Gründer der Connecting Media GmbH aus Ettlingen, Baden-Württemberg, unterstützt Unternehmen aus den verschiedensten Branchen gemeinsam mit seinem Team dabei, die Herausforderungen der sicheren Digitalisierung erfolgreich zu meistern.
Als Security-Service-Provider bietet Connecting Media maßgeschneiderte Lösungen und Support an. Kunden profitieren vom branchenübergreifenden Fachwissen, langjähriger Erfahrung und der Leidenschaft für IT-Dienstleistungen.
Weitere Informationen:
Connecting Media GmbH
www.connectingmedia.de
HDT-Journal: Im Vorgespräch erwähnten Sie ein hierzu passendes Projekt, an dem Sie gerade arbeiten. Möchten Sie kurz darauf eingehen, worum es sich bei „SecFried“ handelt?
Andreas Kunz: Unsere Mission ist es, mit SecFried mittelständischen Unternehmen die komplexe Materie „sichere Digitalisierung“ einfach und verständlich zu vermitteln. Wir arbeiten sehr gerne mit Bildern und reden oft von Siegfried dem Drachentöter aus der Nibelungensage, der durch ein herabgefallenes Lindenblatt angreifbar wurde. Nur eine klitzekleine Stelle auf dem Schulterblatt, aber eben doch eine Möglichkeit, die ausreicht, um ihn zu schlagen. Wenn man dieses Bild in die heutige Zeit überträgt, sind wir bei der Frage: „Wo liegt Ihr digitales Lindenblatt, wie sicher sind Sie – und falls nicht, wie können Sie zu SecFried werden?“
Genauso ist es doch in der Welt der Digitalisierung: Wir haben AntiVirus, wir haben eine Firewall, wir haben eine Cyber-Versicherung, also kann uns scheinbar nichts passieren – wir sind vermeintlich unverwundbar. Mit SecFried setzen wir genau hier an. Wir analysieren Technik und Prozesse in Unternehmen beziehungsweise Organisationen und bieten für die Mitarbeitenden immersive Awareness-Trainings. Quasi das Rundum-sorglos-Paket, um für die Gefahren des 21. Jahrhunderts gewappnet zu sein.
HDT-Journal: Kommen wir kurz auf einen anderen Aspekt von künstlicher Intelligenz zu sprechen: Seit Jahren wird vor der wachsenden Gefahr durch Deepfake-Videos gewarnt. Wie kann ihre Branche beispielsweise dem Journalismus helfen, in Zukunft digitale Scheinwelt und Realität auseinanderzuhalten?
Andreas Kunz: Da muss man das Rad nicht komplett neu erfinden. Es kann technisch gesehen auf Bewährtes zurückgegriffen werden, das seit Jahren in anderen Gebieten in der Anwendung ist. Das können wie bei Webseiten oder E-Mails digitale Signaturen sein, die von unabhängigen Zertifizierungsstellen ausgestellt werden, oder die Code-Signierung von vertrauensvollen Herausgebern. Das muss in irgendeiner Form auch für diese Art von digitalen Produkten implementiert werden, um Missbrauch und Fake News zu vermeiden.
HDT-Journal: Manche nennen KI einen Schutzschild, der zugleich Angriffswaffe ist. Wie beurteilen Sie die neuen technischen Möglichkeiten?
Andreas Kunz: Weder noch. Ich sehe es als digitalen Unterstützer. Ich komme schneller an Informationen, ich kann damit Skripte und Quelltexte vorbereiten. Es ist ein adaptiver Mehrwert für mich. So wie sich das Googeln eingespielt hat – nur als nächster Level.
Am Beispiel der Code-Erstellung oder Textproduktion lässt sich das verdeutlichen: Benötige ich ein Shellskript (eine ausführbare Textdatei, Anm. d. Red.), welches mir ein Windows-Logfile nach einem bestimmten Fehler durchsucht und in einer Tabelle aufbereitet, bekomme ich von ChatGPT direkt ein fertiges Programm, das ich nur noch ausführen und gegebenenfalls anpassen muss. Ich muss den ganzen Quelltext nicht mehr von null auf schreiben, sondern habe die Lösung in wenigen Minuten.
HDT-Journal: Das Informationsportal silicon.de hat unlängst ein Interview zur Frage veröffentlicht, wie sich Unternehmen gegen Hacker zur Wehr setzen können, die künstliche Intelligenz nutzen. Die Besonderheit war, dass es sich beim Gesprächspartner um den Chatbot ChatGPT handelte [2]. Was würden Sie als menschlicher Interviewpartner raten?
Andreas Kunz: So überraschend ist das Ergebnis nicht. Denn die AI (Artificial Intelligence, Anm. d. Red.) wird ja antrainiert beziehungsweise mit Expertenwissen gefüttert. Somit waren da schon einmal richtig gute Leute am Start. Ich tue mich immer schwer mit diesen Tipps. Es sind für mich immer drei Vektoren, die im Einklang sein müssen. Wir hatten es eben schon einmal – Technik, Mensch und Prozesse. Das muss aus einem Guss sein und in Fleisch und Blut übergehen. Die Frage ist also nicht „Wie setze ich mich zur Wehr?“, sondern vielmehr diese: „Wie sorge ich dafür, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu geben, damit ich erst gar nicht in den Fokus gerate?“
HDT-Journal: Wie sehen Sie Ihre künftige Rolle, wenn Maschinen nicht nur Expertisen und Handlungsanweisungen vorlegen, sondern diese zudem wahrscheinlich meistenteils gleich noch ohne menschliches Zutun selbst umsetzen?
Andreas Kunz: Ich sehe das ehrlichweise mehr als Chance anstatt als Gefahr. Die AI wird immer nur so gut sein wie sein Bediener beziehungsweise Trainer. Wenn man es evolutionär betrachtet, ist das der Lauf. Wer sich stetig weiterentwickelt und sich an die Gegebenheiten anpasst, hat eine Zukunftschance.
Die AI wird mit Sicherheit Teile von Jobs ersetzen, aber auch neue Aufgaben erschaffen und neue Möglichkeiten bieten. Das bedeutet natürlich für jeden Arbeitsbereich und jede Branche etwas anderes. Ich kann nachvollziehen, dass hierhinter gerade im journalistischen oder schulischen Bereich viele Fragezeichen für die Zukunft stehen. Ich denke, wenn wir offen sind und uns den Möglichkeiten nicht verwehren, lässt sich flächendeckend davon profitieren.
Die Fragen stellte Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal
Quellen:
[1] https://www.rnd.de/digital/microsoft-bing-software-soll-user-beleidigen-beluegen-und-bedrohen-HB32PCCIAFHF7NHJRJ4HVDVJVM.html
[2] https://www.silicon.de/41704336/ein-interview-mit-chat-gpt-zu-ki-und-cybersecurity