Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, heißt es. Die Kunst bei der Inspektion von Windenergieanlagen (WEA) besteht zunächst darin, überhaupt zu den beweglichen Teilen hinauf zu kommen. Dass die durchschnittliche Höhe von Windrädern im Dienste des Ertrags in den letzten Jahren zugenommen hat, macht die Sache nicht leichter. Offenbar jedoch gibt es inzwischen Alternativen zum mühsamen und kostenintensiven Klettern. Von Matthes Schachtner, Leiter Inspektionsstelle bei ENERTRAG Betrieb, ließen wir uns erklären, wo und wie Drohnen hier ins Spiel kommen und ob diese wirklich zu fliegenden Gamechangern werden.
HDT-Journal: Herr Schachtner, was leistet das drohnengestützte Inspektionsverfahren, von dem behauptet wurde, es könne die Windbranche revolutionieren?
Matthes Schachtner: Drohneninspektionen gibt es seit einigen Jahren in der Windbranche. Bisher konnten die Systeme allerdings nur eine visuelle Überprüfung durchführen, das heißt hochauflösende Fotos von jedem Bereich des Rotorblattes machen. Unsere Methode kombiniert erstmals die visuelle Inspektion mit der Blitzschutzmessung. Jedes Rotorblatt hat eine integrierte Blitzschutzleitung, die über zahlreiche Rezeptoren mit der Außenhaut des Rotorblattes verbunden ist. Eine intakte Blitzschutzfunktion ist für die Blätter von zentraler Bedeutung, da sie ansonsten sehr schnell schwer beschädigt würden.
HDT-Journal: Ganz entbehrlich macht es das Klettern aber wohl nicht.
Matthes Schachtner: Wir werden weiterhin Seilkletterer in der Windbranche benötigen, um komplexe Schadensbilder aufzunehmen und kleinere Reparaturen oder manuelle Wartungsarbeiten durchzuführen. Insofern ist das Verfahren keine Revolution, sondern eine Antwort auf die aktuellen Herausforderungen, für die es bis jetzt keine Lösungen gab. Dies wird aber dazu führen, dass die Standard-Rotorblattinspektion in einigen Jahren überwiegend von Drohnen statt Menschen durchgeführt wird.
„Das Verfahren erfüllt alle rechtlichen und branchenüblichen Ansprüche für die Rotorblattinspektion. Es hat eine Verifizierung durch ein Zertifizierungsinstitut durchlaufen und ist von führenden Versicherungen als Rotorblattinspektionsmethode akzeptiert.“ – Matthes Schachtner
HDT-Journal: Mit „Herausforderungen“ meinen Sie nicht zufällig den Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung?
Matthes Schachtner: Der Fachkräftemangel hat in diesem Arbeitsbereich tatsächlich Einzug gehalten. Eine Seilkletterer-Ausbildung ist langwierig und mit hohen körperlichen Ansprüchen verbunden. Mit unserem Inspektionsverfahren können auch Servicetechniker oder Seilkletterer, die aus körperlichen Gründen nicht mehr im Seil arbeiten können, die Inspektionen durchführen. Gleichzeitig reduziert die Drohneninspektion die Anforderungen an den Techniker im Feld.
HDT-Journal: Wie läuft eine drohnengestützte Untersuchung konkret ab?
Bereit für den nächsten Einsatz. Foto: © ENERTRAGMatthes Schachtner: Die Arbeiten werden von einem Zwei-Mann-Team durchgeführt, bestehend aus einem Drohnenpiloten, der die Drohne vom Boden aus steuert, und einem Techniker, der in das Maschinenhaus fährt und dort einen Hochspannungsgenerator an die Blitzschutzleitungen der Blätter anschließt. Es wird Strom in die die Blätter induziert und dieser kann von einem Feldstärkenmessgerät, welches auf der Drohne montiert ist, gemessen werden. So können wir auf wenige Zentimeter genau die Blitzschutzfunktion im Blatt nachweisen und führen parallel die visuelle Inspektion der Rotorblatt-Außenhaut durch. Der Techniker im Maschinenhaus führt ebenfalls noch eine Inneninspektion des Rotorblattes durch.
Sie sehen, man muss weiterhin in das Maschinenhaus. Allerdings muss sich für die Inspektion kein Seilkletterer mehr an den Blättern ablassen. Dies ist ein entscheidender Schritt für die Inspektionsbranche, denn das erleichtert die Arbeit im Feld sehr stark und gibt uns gleichzeitig eine Möglichkeit, auch Anlagen der neuesten Generation zu inspizieren.
HDT-Journal: Womit ein deutlicher Höhenzuwachs verbunden ist …
Matthes Schachtner: Vor zehn Jahren hatte ein Onshore-Windrad eine Blattlänge von 40 Metern. Seit einigen Jahren sind es 50 bis 60 Meter. Die neueste Generation von Onshore-Anlagen hat eine Blattlänge von 80 Metern. Entsprechend sind auch die Turmhöhen auf 80 bis 160 Meter angewachsen. Dies bringt das Personal und die Ausrüstung für die Seilkletterei in Extremsituationen. Sie brauchen bei diesen Dimensionen immer einen weiteren Mitarbeiter auf dem Boden, der von unten zusätzlich sichert.
Trotzdem besteht ein Risiko für den Mann im Seil, bei einem Fehler einen Pendelsturz zu erleiden. Zudem sind Großanlagen natürlich für einen Seilkletterer viel aufwendiger zu inspizieren, als für eine Drohne, da er für jeden Meter am Blatt ein Vielfaches der Zeit benötigt.
HDT-Journal: Wo das Stichwort „Risiko“ gefallen ist, wird es nun Zeit für die Frage nach den rechtlichen Auflagen für Anlagen dieses Typs. Werden diese von dem Verfahren bereits voll erfüllt?
Matthes Schachtner: Das Verfahren erfüllt alle rechtlichen und branchenüblichen Ansprüche für die Rotorblattinspektion. Es hat eine Verifizierung durch ein Zertifizierungsinstitut durchlaufen und ist von führenden Versicherungen als Rotorblattinspektionsmethode akzeptiert. Es ist bereits ein fester Bestandteil unseres Arbeitsalltags geworden.
Wer ist Matthes Schachtner?
Matthes SchachtnerNach seinem Master-Abschluss im Bereich Wirtschaftsingenieurswesen war Matthes Schachtner im Lifecycle-Engineering des Anlagenherstellers Repower tätig, wo er die Anlagenverfügbarkeit im On- und Offshorebereich verbesserte. Seit 2017 übernahm er verschiedene Leitungsfunktionen in der Produktentwicklung bei Senvion mit den Schwerpunkten Weiterentwicklung und Produktimplementierung im internationalen Umfeld. Für ENERTRAG leitet er seit 2021 die technischen Dienste mit den Schwerpunkten Inspektionen und Geschäftsfeldentwicklung.
HDT-Journal: Welche Grenzen gibt es für die Drohneninspektion hinsichtlich der Wetterbedingungen? Ist die drohnengestützte Inspektion zu jeder Jahreszeit praktikabel?
Matthes Schachtner: Die Drohne ist durch das zusätzliche Gewicht und die Geometrie des Feldstärkenmessgerätes etwas windanfälliger als Drohnen, die nur mit einer Kamera für das visuelle Inspektionsverfahren arbeiten. Wir setzen die Drohne bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 8 m/s ein. Sie arbeitet mit einem Laser für die Flugnavigation am Rotorblatt, dies macht sie bei Nebel und Regen nur bedingt einsatzfähig. Grundsätzlich ist sie unabhängig von der Temperatur einsetzbar. Es kann jedoch bei extremer Kälte und Hitze vorkommen, dass die Batterien nicht funktionstüchtig sind.
Insgesamt hat das Verfahren eine etwas größere Einsatzbreite im Vergleich zu Seilkletterern, würde ich sagen.
HDT-Journal: Können Sie ungefähr den zeitlichen beziehungsweise finanziellen Vorteil beziffern, den die drohnengestützte Inspektion von Windanlagen mit sich bringt?
Matthes Schachtner: Die Kostenstruktur ist eine gänzlich andere als bei der Seilkletterei, was leider noch nichts über die Höhe der Kosten aussagt. Es fallen für das Inspektionsunternehmen nennenswerte Lizenzkosten für das bildgebende Verfahren an und die Technik ist erheblich teurer. Das muss in der Preisbildung berücksichtigt werden. Es gibt einen hohen Rüstzeitanteil pro Windenergieanlage, während die Inspektion selbst relativ kurz ist. Das macht sie bei großen Anlagen extrem effizient, bei kleinen Anlagen konkurrenzfähig mit der Seilkletterei. Insgesamt bildet sich daher ein Preisvorteil von 10 bis 30 Prozent aus, abhängig vom Rotordurchmesser und dem Preis des Wettbewerbers.
Wir bieten neben der Rotorblattinspektion wiederkehrende Prüfungen von Windenergieanlagen an. Für diese sind Rotorblattinspektionen zwingend vorgeschrieben. Da sich die Arbeiten sehr gut kombinieren lassen, weil Arbeitsschritte parallelisiert werden, ist der Preisvorteil in Kombination enorm. In einem solchen Fall liegen wir bei circa 50 Prozent Preisreduktion für die Rotorblattinspektion.
Bei einer reinen visuellen Inspektion per Drohne sind acht WEA pro Tag keine Seltenheit. Diese Inspektionen entsprechen aber nicht den Vorgaben der relevanten technischen Richtlinien in Deutschland und werden im Sinne der Sorgfaltspflicht des Betreibers und von Versicherungen nicht als zulässig angesehen. Bei der Inspektion inklusive Blitzschutzmessung ist ein Techniker im Maschinenhaus erforderlich, außerdem die Rotorarretierung und der Nabengang. So werden alle Auflagen für eine vollumfängliche Rotorblattinspektion erfüllt und es sind drei WEA pro Tag realistisch. Zum Vergleich: Ein Seilkletterteam schafft ein bis zwei Anlagen der aktuellen Generation pro Tag.
„Wir haben das Verfahren entwickelt, um unsere Inspektionsdienste effizienter anbieten zu können und Personalengpässe zu überbrücken. Wir sind dabei von der großen Resonanz im Markt überrascht worden …“ – Matthes Schachtner
HDT-Journal: Sorgt das Verfahren auch für eine Entlastung bei der Erstellung entsprechender Prüfberichte?
Fehlersuche am Monitor. Foto: © ENERTRAGMatthes Schachtner: Wir arbeiten für die Drohneninspektion mit der Firma SSL aus der Schweiz zusammen. SSL ist eines der Pionierunternehmen für Drohneninspektion in der Windenergie und Experte für Drohnensoftware und Flugalgorithmen. Die Inspektionen werden über die digitale 3DX-Plattform der Firma abgewickelt. Diese bietet von Inspektionskampagnenmanagement über Datenhaltung bis hin zu Berichtserstellung und Langzeitanalysen alle Möglichkeiten, die man sich als Anlagenbetreiber wünscht. Konkret werden alle Fotos nach der Inspektion direkt hier hochgeladen. Die Software erstellt auf dieser Basis ein frei zoombares, hochauflösendes Bild des jeweiligen Rotorblattes.
Bei der Seilinspektion muss der Inspekteur demgegenüber eine kritische Schadstelle vor Ort identifizieren, dann ein manuelles Foto machen. Bei der Drohneninspektion kann er die Fehleranalyse in Ruhe vom Büro aus erledigen. Eine AI (Artifical Intelligence) unterstützt ihn dabei. Aufgrund tausender gespeicherter menschlicher Fehlerbewertungen lernt und erkennt das Programm Fehlerarten und schlägt dem Inspekteur auf dieser Basis Auffälligkeiten in der Blattstruktur zur genauen Beurteilung vor. So wird jede Kleinigkeit erkannt, die man gegebenenfalls im Seil übersehen hätte.
Die Einzelbewertungen werden danach zu einem Bericht zusammengefasst und zur Verfügung gestellt. So entfällt viel Arbeit der Datenübertragung und Auswertung die ansonsten notwendig wäre.
HDT-Journal: Sehen Sie für die nächste Zukunft noch weiteres Ausbaupotenzial – auch durch die Weiterentwicklung der Drohnen beziehungsweise Aufnahmetechnik selbst – im Sinne zusätzlicher Funktionen und Anwendungsfälle?
Matthes Schachtner: Langfristig wird die Drohne aus dem Inspektionsalltag nicht mehr wegzudenken sein. Wir haben das Verfahren entwickelt, um unsere Inspektionsdienste effizienter anbieten zu können und Personalengpässe zu überbrücken. Wir sind dabei von der großen Resonanz im Markt überrascht worden, sehen uns dadurch aber auf unserem Weg bestätigt und teilen dieses Know-how auch gerne über ein Lizenzprogramm inklusive Technik und Verfahrensschulung.
In diesem Jahr liegt der Fokus noch auf der Optimierung der Arbeitsabläufe und der Standardisierung der Technik, um die Anwendung noch leichter zu gestalten. Wir haben aber auch bereits weitere Entwicklungsfelder wie Rotorblatt-Innenbegehung, Rotorblattstrukturanalysen und auch den Drohneneinsatz für Photovoltaik-Anlagen im Blick.
HDT-Journal: Herr Schachtner, wir danken Ihnen für die äußerst aufschlussreichen Ausführungen und wünschen allzeit ergiebigen Wind. Außer wenn doch jemand auf den Turm klettern muss.
Die Fragen stellte Michael Graef.
Weitere Informationen:
ENERTRAG Betrieb GmbH
https://betrieb.enertrag.com
Bildhinweis: © ENERTRAG