Mensch-Maschinen: Humanoide Roboter auf dem Sprung?

Bei Tesla will man demnächst damit beginnen, BMW war schneller und hat sie bereits erfolgreich testweise eingesetzt. Lang genug hat es gedauert, jetzt bricht es an – das Zeitalter humanoider Roboter. Ältere Semester werden sich an die (nach bestimmten heutigen Maßstäben quasi einer kulturellen Aneignung gleichkommende) Behauptung der Band Kraftwerk des Jahres 1978 erinnern: „Wir sind die Roboter“.

Und teils Jahrzehnte zuvor verbreiteten populärwissenschaftliche Magazine Visionen von einem unbeschwerten künftigen Leben, wunderbar versüßt durch „Blech-Butler“. Nur: Wo bleiben humanoide Roboter für jedermann, möchte man – zwischenzeitlich ergraut – noch immer fragen …

Pioniertat mit Schönheitsfehler

Gemessen an der gegenwärtigen Aufbruchstimmung in der Industrie stehen die Chancen dafür allerdings gut. Oder um es mit den holprigen Worten von Ruhrgebiets-Original Herbert Knebel alias Uwe Lyko zu sagen: „Getz isses nich' mehr Sinnse-Fiktschän, getz sinn'se echt.“ [1]

Einziger Schönheitsfehler aus deutscher Sicht: Der bei den Tests bei BMW verwendete humanoide Roboter stammt vom US-Robotikunternehmen Figure AI und nicht aus dem „Land der Erfinder“ [2]. Die Zukunftsschmiede wurde unter anderem von den US-Tech-Schwergewichten Microsoft und Nvidia mit Kapital ausgestattet. Nebenbei ein zusätzliches Beispiel für das – nicht allein digitale – Abgehängtsein Europas, welches endlich angegangen gehört.

Vorgeschmack auf die Welt von morgen

Wie stets bei technologischen Revolutionen gilt auch beim Thema humanoide Roboter ein altes Prinzip: Kurzfristige Folgen werden über-, die mittel- bis langfristigen Veränderungen allgemein unterschätzt. Das kommerzielle Internet hat das zuletzt gezeigt. Zunächst glaubten viele an Bäume, die im Rekordtempo in den Himmel wachsen. Dann platzte die Dotcom-Blase. Und schließlich krempelte das World Wide Web doch innerhalb von zwei Jahrzehnten jeden einzelnen Bereich des Arbeitens, Wirtschaftens, ja das gesamte Leben unumkehrbar um.

Bis es in Bezug auf wirklich anspruchsvolle humanoide Roboter ähnlich weit ist, gibt es einiges zu tun. So vermochte etwa Teslas „Optimus“ zu Beginn des Jahres bei einer Präsentation zwar durch das Zusammenzufalten von Hemden zu beeindrucken, jedoch gelang das nicht autonom. Es erforderte steuernde Eingriffe von außen [3]. Insofern hebt sich das Modell bislang nicht ausreichend ab von Ungetümen wie „Elektro“. Schon 1939 ließ sich der rund 2,2 Meter große humanoide Roboter des US-Konzerns Westinghouse mittels Telefonverbindung steuern und gab Besuchern der damaligen Weltausstellung in New York einen Vorgeschmack auf die Welt von morgen. Oder besser: von übermorgen.

KI als Geburtshelfer der nächsten industriellen Revolution

Die nahezu grenzenlosen Potenziale ihrer ungleich ausgefeilteren Motorik werden moderne Mensch-Maschinen insbesondere dadurch heben, dass sie mithilfe von künstlicher Intelligenz lernen und sich selbst optimieren. Hier kommen zwei technologische Megatrends zusammen und verschmelzen zu einer Art Monsterwelle. In der Theorie kann stark beschleunigend wirken, dass sogar jede neue Erfahrung eines einzelnen Exemplars unmittelbar in Echtzeit sämtlichen „Blechkameraden“ weltweit zur Verfügung gestellt wird. Was in der Praxis mit dem Interesse am Schutz von geistigem Eigentum kollidieren wird.

Apropos kollidieren: Wie steht es auf der anderen Seite um den Schutz von Menschen? Gemeint ist weniger der Kollisionsschutz. Der ist bei herkömmlichen kollaborativen Robotern so gut gelöst, dass frühere Schutzkäfige beziehungsweise Zäune heute obsolet sind. Die Frage, die sich manche stellen, ist vielmehr die: Entwickeln sich humanoide Roboter irgendwann zu arbeitsplatzvernichtenden Übermenschen?

Humanoide Roboter als Segen für die Produktivität

Jensen Huang, CEO von Nvidia, bekanntermaßen Marktführer bei KI-Chips, beschrieb unlängst gegenüber dem US-Sender CNBC seine Vorstellung von einer Welt, in der Roboter Teams aus Robotern dirigieren. Um Autos zu produzieren, die ihrerseits als fahrende Roboter autonom unterwegs sein werden. Scheinbar paradoxerweise erklärte der Multimilliardär, dass all das zu mehr Jobs führen wird. Seine Begründung: Produktivität und Unternehmenserträge werden zunehmen. Passiert das, stellen Firmen nach Huangs Ansicht mehr Personal ein [4].

Die alte betriebswirtschaftliche Gleichung beinhaltet indes für die Zukunft zwei entscheidende Unbekannte: Welche Arten von Jobs bleiben in diesem Szenario für Menschen übrig? Und wenn ja, wie viele?

Humanoide Roboter als Lösung für den Fachkräftemangel?

Betrachten wir, was ein deutscher Hersteller von maßgeschneiderten Robotik-Lösungen für die Industrie namens Agile Robots zu sagen hat. Das Unternehmen spricht sich auf seiner Website für den vermehrten Einsatz von Robotern aus. So weit, so wenig überraschend. Interessanter ist die genaue Argumentation:

Agile Robots bezieht sich auf Expertenschätzungen, wonach der deutschen Volkswirtschaft jährlich nahezu 400.000 Fachkräfte fehlen. Während der demografische Wandel als einer der Hauptgründe bloß langfristig kompensiert werden könne, ließe sich durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Steigerung der Attraktivität der Aufgaben die Mitarbeiterzufriedenheit verbessern und das Anwerben von Fachkräften erleichtern [5]. 

Beispiel Japan

Wer nach Japan schaut, wo die demografische Herausforderung größer als bei uns ist, erkennt, dass diese Beschreibung realistisch ist. Mehr noch: Im Land der aufgehenden Sonne ginge beispielsweise im Pflegebereich ohne Roboter nichts mehr. Exemplarisch sieht man hier, wie Roboter im Sinne der Arbeitssicherheit sozusagen dem Gewicht die Last nehmen und darüber hinaus Jobs mitunter vollständig übernehmen, für die – attraktiv oder nicht – die Zahl der Arbeitskräfte ganz einfach nicht mehr ausreicht.

Neue (Arten von) Jobs braucht das Land

Für einen weitreichenden Einsatz von (humanoiden) Robotern müsste man, zusammenfassend gesagt, schon aus einem einzigen Grund plädieren: Er verspricht, dass mehr Menschen die Chance erhalten, Berufe auszuüben, durch die sie sich selbst stärker von Maschinen unterscheiden. Womit wir wieder bei BMW wären. Der humanoide Roboter vom Typ Figure 02 machte sich im Werk Spartanburg, South Carolina, nützlich, indem er Blechteile in eine Vorrichtung einlegte. Gewiss kein unehrenhafter Job, aber wohl das Gegenteil von einer Möglichkeit zur Selbstverwirklichung.

Als eine Nebenwirkung der nächsten Ausbaustufe industriell-technischen Fortschritts wird sich verschmerzen lassen, dass das menschliche Personal sich immer weniger auf einmal erworbenem Fachwissen wird ausruhen können, sondern in zunehmend kürzeren Abständen Auffrischungen oder gar Weiterqualifizierungen benötigt. Und zwar eher öfter als selten für Jobs, die man bislang nicht einmal kennt.

Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 22.08.2024 

Quellen:

[1] https://youtu.be/9DHuzmw9UVI

[2] https://www.press.bmwgroup.com/deutschland/article/detail/T0444264DE/erfolgreicher-testeinsatz-humanoider-roboter-im-bmw-group-werk-spartanburg

[3] https://www.forbes.com/sites/mattnovak/2024/01/15/elon-musks-latest-robot-video-accidentally-gives-away-the-magic-trick/

[4] https://www.cnbc.com/2024/03/20/nvidia-ceo-jensen-huang-explains-why-hes-all-in-on-humanoid-robotics.html

[5] https://www.agile-robots.com/de/blog/detail/3-gruende-fuer-die-roboter-automatisierung

 

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.

 

Tags: Robotik
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