Auch in dieser Folge unserer Reihe aus Anlass des bevorstehenden 100. HDT-Gründungsjubiläums wollen wir Ihnen nichts vom Pferd erzählen, wie man so schön sagt. Und doch spielt Equus caballus – das Hauspferd – diesmal eine tragende Rolle. Denn auf seinen Schultern lastete noch lange nach der Erfindung des modernen Automobils im Jahre 1886 ein großer Teil der Mobilität. Nicht ganz unwichtig für die Ruhrmetropole Essen als HDT-Gründungsort war darüber hinaus der Einsatz von Grubenpferden, der bis Mitte des vorigen Jahrhunderts andauerte. In England sogar bis zur Jahrtausendwende.
Die PS auf die Straße bringen
Versuche, das Pferd mithilfe von Straßenfahrzeugen zu ersetzen, wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts viele Male unternommen. Sogenannte Straßen-Locomotiven, um deren Zulassung man sich in Deutschland Anfang der 1860er-Jahre bemühte, konnten enorme Lasten ziehen. Jedoch sollen sie Pferde scheu gemacht haben, mit denen sie sich den knappen Verkehrsraum hätten teilen müssen. Den beherrschten damals Pferdegespanne, Pferdebuslinien und – in Konkurrenz dazu – teilweise Pferdebahnen. Deutschlandweit existierten fast 100 von ihnen, ihre Verdrängung durch elektrische Straßenbahnen begann erst in den 1880er-Jahren.
Zurück zum Kraftwagen: Beim Hippomobile Étienne Lenoirs, nach 1860 konstruiert in unserem Nachbarland Frankreich, zeigt sich die Schlagrichtung schon im Namen. Das Pferd sollte überflügelt werden. Nur stellte sich das als echte Herausforderung dar, brillieren die Unpaarhufer schließlich gleich in mehreren wichtigen Disziplinen: Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Demgegenüber war das von einem der Dampfmaschine ähnelnden Verbrennungsmotor angetriebene Hippomobile aufgrund seines hohen Schmier- und Kraftstoffverbrauchs weder wirtschaftlich, noch war es besonders verlässlich.
Wo ist der Tank?
Will man im Zusammenhang mit Pferden überhaupt von Alleinstellungsmerkmalen sprechen, kommt eines hinzu: Das treue, kraftstrotzende Tier geht für uns nötigenfalls über Stock und Stein. Die frühesten Automobile hingegen waren auf die schlechten Straßenverhältnisse kaum vorbereitet. Oder anders herum: Die Welt war für Kraftfahrzeuge nicht optimiert, wozu die Notwendigkeit des Aufbaus einer Tankstelleninfrastruktur zählte. Ähnliches begegnet uns heute bei der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.
Zum umständlichen und zeitraubenden Laden von Batterien gab es seinerzeit ebenfalls ein Pendant. So dauerte es bis August 1927 – wenige Wochen vor Gründung des HDT –, dass erstmals für Deutschland (in Hamburg) eine Möglichkeit geschaffen wurde, ein Automobil an einer Zapfsäule direkt zu betanken. Hierdurch entfiel der lästige Zwischenschritt des Befüllens von Kanistern.
Vom Luxusprodukt zur Massenmobilität
Vom Tanken ist es nicht weit bis zu der Frage, wer sich zu Beginn ein Automobil leisten konnte. Aus dem anfänglichen Luxusgut entwickelten sich private Pkw ab 1914 allmählich zum Massenprodukt – dank der Übertragung der Fließbandfertigung auf die Automobilindustrie, mit der Henry Ford für eine deutliche Verringerung der Fertigungskosten und Verkaufspreise sorgte. Sein legendäres Modell T, ein Muster in Sachen Robustheit und Alltagstauglichkeit, blieb bis in das HDT-Gründungsjahr 1927 hinein aktuell. Erst 1972 verlor es den Titel des meistverkauften Automobils an den VW Käfer.
Im Jahr darauf folgte mit der Ölpreiskrise eine wichtige Zäsur, die den weiteren Verlauf der Mobilitätsentwicklung entscheidend beeinflusste. An den autofreien Sonntagen, die hierzulande auf den Kraftstoff-Versorgungsschock folgten, galt im Prinzip das berühmte Shakespeare-Zitat aus Richard III.: „Mein Königreich für ein Pferd!“ Nichtsdestoweniger sollte der eigentliche Boom des Automobils erst beginnen. In den zurückliegenden fünf Jahrzehnten hat sich der weltweite Autobestand nicht weniger als verfünffacht, wie man vom Umweltbundesamt beziehungsweise vom Verband der Automobilindustrie erfährt.
Folgt der Mensch dem Pferd?
Der Anblick eines Pferdes im Straßenverkehr ist heutzutage längst eine Seltenheit. Gelegentlich sieht man Polizeipferde oder Hochzeitskutschen und dergleichen. Davon abgesehen ist es um das Pferd still geworden, was angesichts des oftmals ohrenbetäubenden Hufgeklappers vergangener Tage wörtlich zu nehmen ist.
Manche sehen im Wandel des Pferdes vom allgegenwärtigen Zug- und Arbeitstier zum nahezu reinen Reittier für Sport und Freizeit eine Art Blaupause für die Zukunft des Kraftfahrzeugs. Sind echt autonom fahrende Automobile erst einmal Standard, könnte der Mensch als Fahrer allein wegen des Versicherungsrisikos von öffentlichen Straßen verbannt werden. Analog zum Reitplatz müsste hiernach auf abgeschlossenes Terrain ausweichen, wer sich selbst ans Steuer setzen möchte.
Das HDT jedenfalls wird auch dieses revolutionärste Kapitel der Geschichte der Mobilität begleiten. Wie so vieles in den letzten rund 100 Jahren.
Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 10.07.2025
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Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.