Seltene Erden – Was, wenn der Nachschub versiegt #Experteninterview

Metalle der Seltenen Erden sind der Stoff, aus dem man Hightech macht. Oder zumindest spielen sie für die Halbleiterfertigung, aber beispielsweise auch für die erneuerbare Energieerzeugung oder die Automobilproduktion eine wichtige Rolle. Ein Lieferstopp der begehrten Rohstoffe hätte dementsprechend weitreichende Folgen. Das HDT-Journal hatte Gelegenheit, mit Frank Burilov, CSO bei der Magnetfabrik Bonn GmbH, als einem Fachmann für konkrete Anwendungen zu sprechen.

HDT-Journal: Herr Burilov, die Prognose, demnächst keine Seltenerd-Metalle mehr aus China geliefert zu bekommen, klingt momentan nicht völlig unrealistisch. Mit Ihrem Unternehmen würden Sie vermutlich zu den ersten gehören, die die Auswirkungen zu spüren bekommen. Was könnte ein solches Szenario für den Standort Deutschland insgesamt bedeuten?

Frank Burilov: Das wäre in der Tat das denkbar schlimmste Szenario – wenn sowohl Seltenerd-Magnete als auch deren Vormaterialien, also Compounds und Pulver nicht mehr zur Verfügung stünden. In einem solchen Fall ließen sich global – außerhalb Chinas – mittelfristig, das heißt für geschätzt sieben bis zehn Jahre, eine Vielzahl von industriellen Produkten nicht mehr herstellen.

Hochleistungsantriebe aller Industrien benötigen Seltenerd-Magnete. In weniger anspruchsvollen Anwendungen verzichtet man heute bereits auf sie. Aber in der Automobilindustrie zum Beispiel bedeutet das konkret: Ohne diese Magnete würden außerhalb Chinas keine Fahrzeuge mehr vom Band laufen. Denn sie sind nicht nur im Antrieb, sondern auch in Systemen wie Sensorik, Fensterhebern, Sitzverstellungen, Airbags, Sicherheitsgurten, Steer-by-Wire, Brake-by-Wire und so weiter essenziell. Die Konsequenz wäre ein systemischer Zusammenbruch der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer weltweit.

Diese Mechanismen lassen sich auf nahezu alle Industriebranchen übertragen. Weiter ausmalen möchte ich dieses Szenario nicht – jeder mag seiner Vorstellungskraft selbst freien Lauf lassen.

Natürlich ist dieses Szenario ein Extrem. Aber bereits heute zeigen Engpässe und Exportrestriktionen aus China, wie verletzlich unsere Industrie ist. Ein echter Lieferstopp würde nicht nur Produktionsausfälle verursachen, sondern auch den politischen und wirtschaftlichen Druck erhöhen, Seltene Erden zu recyceln, alternative Lieferquellen zu erschließen und technologische Substitutionen zu forcieren. Langfristig ist eine strategische Diversifizierung der Rohstoffabhängigkeiten entscheidend, um die Resilienz des Standorts Deutschland – und Europas – zu sichern.
 


Wer ist Frank Burilov?

Frank BurilovFrank Burilov ist seit 2017 als CSO bei der Magnetfabrik Bonn GmbH (www.magnetfabrik.de) strategisch und operativ verantwortlich für Vertrieb und Projektmanagement. Seine berufliche Laufbahn begann er 1981 mit einer kaufmännischen Ausbildung bei Krupp Widia in Essen, wo er auch nach einem berufsbegleitenden Studium der Betriebswirtschaft bis 2000 im Bereich Magnettechnik tätig war. 2014 übernahm Burilov die Leitung von thyssenkrupp Magnettechnik, einem Geschäftsbereich der thyssenkrupp Schulte GmbH.



HDT-Journal: Erklären Sie für Leserinnen und Leser ohne genaue Fachkenntnis bitte einmal, von welchen Stoffen wir hier überhaupt sprechen.

Frank Burilov: Die „Ankündigung Nr. 18 (2024)“ des chinesischen Handelsministeriums und der Zollbehörde ist seit dem 4. April 2025 in Kraft. Sie bezieht sich auf eine Gruppe von chemischen Elementen. Die Namen der Seltenerd-Metalle Samarium (Sm), Gadolinium (Gd), Terbium (Tb), Dysprosium (Dy), Lutetium (Lu), Scandium (Sc) und Yttrium (Y) sind den meisten Menschen nicht geläufig, finden sich aber in jeder Schule im Periodensystem der Elemente.

Diese Elemente sind vor allem in Magnete eingebunden, die besonders temperaturstabil sein müssen. Und genau solche Magnete kommen in Hochleistungsantrieben und sensibler Sensorik zum Einsatz – vom Automobil bis zur Medizintechnik, von der Luftfahrt bis zur Windkraft.

Ich bin kein Spezialist für Antriebstechnik im Detail, aber soweit ich es einschätzen kann, benötigen fast alle leistungsfähigen Antriebssysteme Magnete mit genau diesen Elementen. Eine spontane Ausnahme wären vielleicht druckluftbasierte Systeme – aber auch deren Komponenten müssen produziert werden. Und dafür benötigen wir wieder: Antriebe.

HDT-Journal: Könnte man auf alternative Stoffe oder Verfahren ausweichen, um die Folgen eines möglichen Lieferstopps abzufedern und würde das zum Beispiel im Hinblick auf Produkte wie Elektrofahrzeuge Veränderungen ganzer Designs und Architekturen erfordern?

Frank Burilov: Ja, es gibt Minen außerhalb Chinas. Die bekanntesten sind Mount Weld (Lynas) in Western Australia – die größte Seltene-Erden-Mine außerhalb Chinas – sowie Mountain Pass in Kalifornien (USA). Letztere liefert allerdings kaum schwere Seltene Erden wie Dysprosium und Terbium.

Mount Weld ist Teil einer bestehenden Lieferkette, deren Material über Malaysia (nicht Thailand, wie teils fälschlich angenommen) weiterverarbeitet und in die USA exportiert wird. Doch weltweit fehlen nicht nur Vorkommen, sondern vor allem die Weiterverarbeitungskapazitäten, um den Bedarf außerhalb Chinas vollständig zu decken.

Zu Ihrer Frage: Wenn jetzt nicht der Moment ist, über alternative Designs und Architekturen nachzudenken – wann dann? Aus der Krise 2011 haben wir, so scheint es, nur begrenzt Lehren gezogen. Ich hoffe, dass diesmal nachhaltiger entwickelt wird. Denn diesmal lässt sich eine Verknappung nicht einfach durch höhere Preise lösen – es wird schlicht nicht genug Material verfügbar sein.

Meine Sorge: Sobald China die Exportbeschränkungen wieder lockert, lehnen sich alle wieder zurück, nach dem rheinischen Motto: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Dann würde erneut das Ökonomische über das Ökologische gestellt – und wir hätten wieder nichts gelernt.

Wir bei der Magnetfabrik Bonn haben versucht, genau das zu vermeiden. Bereits im Mai 2012 haben wir im Rahmen unseres Fachformats „Praxis Kompakt“ unter dem Titel „Unsere Antwort auf die Ressourcenproblematik“ entsprechende Strategien vorgestellt – zunächst mit Fokus auf Gebermagnete in der berührungslosen Sensortechnik. Inzwischen konnten wir gemeinsam mit Kunden in verschiedenen Anwendungen erfolgreich Alternativen zu Seltenen-Erden-Magneten entwickeln.

HDT-Journal: Seltene Erden sind eigentlich gar nicht so selten. Bloß ist die Förderung aufwendig und eine Belastung für die Umwelt, weswegen man China das Feld überließ, richtig? 

Frank Burilov: Radio Eriwan würde sagen: „Im Prinzip ja, aber …“

Das Apollo-Projekt hat gezeigt, was möglich ist, wenn Wissenschaft, Technik und politischer Wille gebündelt werden. Wenn die Bereitschaft besteht, dieses Problem gemeinsam und grenzüberschreitend anzugehen – und auch die damit verbundenen Kosten zu tragen – ist vieles machbar. Eine umweltschonendere Separation ist nötig und möglich. Ich halte einen Zeithorizont von sieben bis zehn Jahren für realistisch.

Aber: China hat mit der Vermarktung Seltener Erden und der daraus gefertigten Magnete eine höchst effektive Machtposition aufgebaut. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass – sobald ernsthafte Konkurrenz außerhalb Chinas entsteht – die Preise dort gezielt gesenkt werden, um neue Anbieter wirtschaftlich zu verdrängen. Das ist in der Vergangenheit bereits passiert.

Dann stellt sich erneut die Frage: Welche Interessen erhalten Vorrang? Ökonomische, kurzfristige Vorteile – oder langfristige ökologische und geopolitische Unabhängigkeit?

HDT-Journal: Mal angenommen, die USA machten aus dem gegenwärtigen Trump-Slogan „Mine, Baby Mine!“ Ernst: Wie lange würde es dauern, sich durch eigene Förderung unabhängig zu machen – und wäre das auch eine Chance für Europa?

Frank Burilov: Nehmen wir an, es gäbe keine Notwendigkeit mehr für schwere Seltene Erden in Hochleistungsantrieben – dann ja, theoretisch. Aber auch hier gilt: Im Prinzip ja, aber …

Wenn es gelingt, eine globale Zusammenarbeit auf Augenhöhe aufzubauen, sollten alle beteiligten Länder an einem solchen Projekt mitwirken und davon profitieren können. Es darf kein rein nationaler Alleingang sein.

Und bedenken Sie: Der aktuelle Präsident der USA hat nur noch 3,5 Jahre Amtszeit. Es wäre zu wünschen, dass ein Nachfolger den Slogan modifiziert in: „Not just my baby, but for everyone.“ Denn am Ende geht es um ein gemeinsames Ziel: Resiliente, faire und nachhaltige Lieferketten für alle. Und ob die USA bereit sind zu teilen?

Wenn es eine globale Zusammenarbeit möglich macht, dann sollten alle beteiligten Länder an einem Erfolg dieser Mission teilhaben können. Nur der gemeinsame Schulterschluss kann die Option aus der Abhängigkeit darstellen. In der Zwischenzeit müssen wir nach akzeptablen Wegen suchen, dass die Versorgung aus China wiederhergestellt wird.

HDT-Journal: Herr Burilov, wir danken Ihnen für Ihre Einschätzungen.

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.

Tags: Interview
Bitte geben Sie die Zeichenfolge in das nachfolgende Textfeld ein

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.

Ich habe die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis genommen.

Passende Schulungen
Online Teilnahme möglich
Magnettechnik Magnetwerkstoffe – Messverfahren und Magnetauslegung

Magnettechnik Magnetwerkstoffe – Messverfahren...

Das Seminar widmet sich der Optimierung des Einsatzes magnetischer Komponenten in der Technik. Kenntnisse über Art und Eigenschaften magnetischer Werkstoffe und Einsatzmöglichkeiten werden vermittelt.
Online Teilnahme möglich
Elektromagnetische Umweltverträglichkeit – EMVU

Elektromagnetische Umweltverträglichkeit – EMVU

Das Seminar behandelt die Expositionsbewertung elektromagnetischer Felder und kombiniert theoretische Grundlagen mit einem praktischen Teil, in dem die Teilnehmenden eigenständig Messungen mit EMF-Geräten durchführen können.
Das Lieferkettengesetz (LkSG) in der unternehmerischen Praxis

Das Lieferkettengesetz (LkSG) in der...

Im Seminar wird ein Überblick über das LkSG gegeben und vor allem die systematische Umsetzung der daraus resultierenden Anforderungen im Betrieb anhand von praktischen Beispielen gelehrt. Ausblick auf CSRD- und CSDD-Richtlinie.
Das Lieferkettengesetz (LkSG) in der unternehmerischen Praxis – Vertiefungsseminar

Das Lieferkettengesetz (LkSG) in der...

Im Seminar wird ein kurzer Überblick zur Wiederholung über das LkSG gegeben. Danach wird der Stoff vertieft, mit Schwerpunkt auf die betriebliche Anwendung anhand von Beispielen. Das Erstellen und Anwenden von Auditlisten wird erlernt.
Tipp
Gurtförderer und ihre Elemente

Gurtförderer und ihre Elemente

Jährlicher Treffpunkt für Anlagenplaner, Komponentenhersteller, Betreiber von Gurtförderanlagen: interessante Vorträge an 1,5 Tagen, Exkursion, Produktausstellung.