Wie jüngst angekündigt, werden wir im Vorfeld des 100-jährigen HDT-Gründungsjubiläums regelmäßig die Zeit und den Kontext beleuchten, in dem Deutschlands ältestes technisches Weiterbildungsinstitut entstand. Weil vor dem Hintergrund der herausragenden Lebensleistung unseres Gründers Heinrich Reisner jedes Tiefstapeln unangebracht erscheint, soll es heute mit dem Größten und Bedeutendsten losgehen, was wir überhaupt kennen: dem Universum.
Hinterm Horizont geht´s weiter? Man hätte seinerzeit vielleicht Alltagsphilosoph und Rockmusiker Udo Lindenberg zu Rate ziehen sollen, als bei der berühmten „Great Debate“ in Washington, D.C. am 26. April 1920 über die Größe des Universums gestritten wurde. Das ging natürlich nicht, denn hierfür wurde er zu spät geboren. Vermutlich hätte der „Panik-Rocker“ aber ebenfalls argumentiert, dass die Milchstraße nicht alles, ja unmöglich das ganze Weltall sein kann. Genau das wurde nur dreieinhalb Jahre später durch Edwin Hubble klar bewiesen – anhand des Andromedanebels (M31).
Man muss sich den hiermit verbundenen Erkenntniszuwachs und die von da an immer schnellere Ausdehnung unseres Weltbilds (parallel zur Entdeckung der sich beschleunigenden Expansion des Universums selbst) einmal vor Augen führen. Was schwer ist, da die Dimensionen unfassbar gigantisch sind. Zur Einordnung daher zunächst ein paar Zahlen, gefolgt von einem passenden Vorschlag respektive Desiderat für Essen als jene Stadt, in der an zentralster Stelle das HDT-Stammhaus steht (weithin bekannt als Haus der Technik und frühere Essener Börse).
Das (bisherige) Universum in Zahlen
Bereits bevor man wusste, dass das Universum nicht mit der Milchstraße gleichzusetzen ist, war es mit einem vermuteten Durchmesser von um die 100.000 Lichtjahre groß genug, um unser Vorstellungsvermögen zu sprengen. Erfreulich in dem Zusammenhang ist, dass es inzwischen an verschiedenen Orten der Welt Lichtschutzgebiete gibt, die es erlauben, das namensgebende und wegen der Lichtverschmutzung über Großstädten leider unsichtbar gewordene weißliche Band am Himmel zu erblicken, von dem schon der frühgriechische Philosoph Demokrit annahm, dass es sich aus einzelnen Sternen zusammensetzt. Deren Zahl wird heutzutage auf zwischen 100 und 400 Milliarden geschätzt.
Vollends unübersichtlich wird es, wenn man die Zahl der Galaxien (oder Welteninseln, wie Alexander von Humboldt fast poetisch zu sagen pflegte) betrachtet, die sich mit dem Erkenntnisgewinn der letzten Jahre mehrmals stark erhöht hat. Nach gegenwärtigem Stand soll das Weltall mit einem Durchmesser von mindestens 46 Milliarden Lichtjahren mehr als eine Billion Galaxien beheimaten. Pro Euro deutscher Staatseinnahmen eine Galaxie könnte bis auf Weiteres als ungefähre Merkhilfe dienen. Schon rein statistisch gesehen macht es also Sinn anzunehmen, dass dort draußen an vielen Orten Bedingungen herrschen, die Leben – und eventuell Fiskalpolitik – ermöglichen.
Spätestens seit wir dank der Forschungsarbeit von Vera Rubin und Kent Ford aus den 1970er-Jahren von der Existenz von etwas wissen, dass man in Ermangelung einer besseren Erklärung als Dunkle Materie bezeichnet, ist allerdings Vorsicht geboten bei jedweder Aussage zur wahren Beschaffenheit des Kosmos.
Wo bitte geht´s hier zum Planetenpfad?
Eine exzellente Möglichkeit, sich das Unbegreifliche vorzustellen, liegt im Nachexerzieren am Modell. Was für Prozesse in Unternehmen gilt, die enorm vom digitalen Modell („digitaler Zwilling“) profitieren können, trifft auf die Beschäftigung mit dem Universum genauso zu.
Machen wir es der Einfachheit halber um zwei Größenordnungen kleiner: Schon der Quasinachbau des Sonnensystems genügt, um insbesondere Kindern und Jugendlichen einen fantastischen Eindruck vom Kosmos sowie von der schier magischen Rolle zu vermitteln, welche die Gravitation spielt. Man benötigt dafür lediglich einen Planetenpfad. Wobei – das muss man erst einmal schaffen.
Ein Planetenpfad ist nichts anderes als ein maßstabsgetreues Abbild der Himmelskörper unseres Sonnensystems in Form eines Wander- oder Spazierpfads für die Abstände und beispielsweise Skulpturen von Sonne (als Ausgangspunkt für das Erwandern) und Riesenplaneten beziehungsweise Miniaturen der „Winzlinge“ Merkur, Venus etc.
Eine prägende Erfahrung
Wetterfestes Anschauungsmaterial kostet freilich Geld; ganz abgesehen von der Grundstücksfrage und bürokratischen Genehmigungsprozessen. Das erklärt, warum zumeist improvisierte Planetenpfade herhalten müssen, wenn etwa Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülern in Eigeninitiative wenigstens einen gewissen Einblick geben wollen. Dass Wegmarken wie Kanaldeckel oder Verkehrsschilder der physikalisch-astronomischen Dimension ebenso wie der Schönheit der Schöpfung nicht wirklich gerecht werden, versteht sich von selbst.
Immerhin jedoch spürt man beim Ablaufen der je nach Maßstab erheblichen Entfernungen, dass unser Sonnensystem in hohem Maße aus leerem Raum besteht. Es grenzt an ein Wunder, dass die Schwerkraft als die einzige nicht abschirmbare Grundkraft der Natur dennoch für den Zusammenhalt sorgt. Wer dem mittels Planetenpfad in jungen Jahren nachspüren konnte, wird die Erfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder vergessen.
Provisorien halten am längsten?
Manchmal – wie in Wuppertal – gelingt die „Fremdnutzung“ vorhandener, zufällig runder Skulpturen. Doch sogar das mit weniger als 7.000 Einwohnern sehr überschaubare westdänische Städtchen Lemvig schaffte es, einen vorbildlichen Planetenpfad von rund 12 Kilometer Länge (7,4 Kilometer Luftlinie im Maßstab eins zu einer Milliarde) zu realisieren. Ein absolutes Highlight für Touristen. Der Durchmesser der bronzenen Sonne beträgt hier übrigens 1,39 Meter. Bei den Planeten wiederum ist der kostspieligere Teil der Sockel – unabdingbar bei teilweiser Erbsengröße.
Man sollte nach meinem Dafürhalten auch in der Ruhrmetropole die ausgetretenen Pfade verlassen und der Öffentlichkeit einen echten Planetenpfad bieten. Das hieraus sich ergebende sinnliche Erleben der Faszination des Weltalls wird womöglich mehr Neugier und Begeisterung für naturwissenschaftliche und technische Fragen wecken als alle Sonntagsreden zusammen, in denen über die Bedeutung der MINT-Förderung für unseren Wirtschaftsstandort philosophiert wird.
Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 28.03.2025
Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.