KI in Prozessmesstechnik und Prozessdatenanalyse – Interview mit Thomas Friebel und Robert Haber

Die Zuverlässigkeit von verfahrens- und produktionstechnischen Prozessen ist eines der zentralsten Anliegen der Prozessindustrie – und der Anspruch der modernen Prozessmesstechnik und Prozessdatenanalyse. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Unablässig müssen Wettbewerbsfaktoren wie die gleichbleibend hohe Produktqualität adressiert werden, um auf den globalisierten Absatzmärkten konkurrenzfähig zu bleiben. 

Ähnlich elementar wie das permanente Innovieren aufseiten der Erzeugnisse sind unter anderem die Faktoren Prozessqualität und Prozessstabilität. Beide haben unmittelbare Auswirkungen auf die Bilanzen. Wer es schafft, Stillstandzeiten und Ausfallraten zu verkürzen und die Anlagenverfügbarkeiten zu optimieren, erarbeitet sich wichtige Kostenvorteile.

Welche Rolle der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI/AI) innerhalb der Prozessmesstechnik und Prozessdatenanalyse heute schon spielt und womit hier künftig zu rechnen ist, wollten wir von Herrn Dr. Thomas Friebel und Prof. Dr.-Ing. Robert Haber wissen. Dr. Friebel arbeitet als Datenanalyst im Maschinenbau und verwendet täglich Algorithmen der Prozessdatenanalyse zur Lösung von Problemstellungen. Prof. Haber gilt als angesehener Fachmann rund um die Themenbereiche Regelungstechnik, Prozessleittechnik, Prozessmesstechnik und Prozessdatenanalyse.

HDT-Journal: Welche Rolle spielen Prozessmessdaten und ihre Analyse und wie bewerten Sie den Return on Investment?

Thomas Friebel: Bei der Umsetzung von neuen Projekten oder dem Nachvollziehen von Problemen sind historische Messdaten nicht mit Gold zu bezahlen. Das Investment lohnt sich immer, ein Return on Investment lässt sich aber schwer mit einer exakten Zahl definieren.

HDT-Journal: Was sind die wichtigsten Herausforderungen bei der Implementierung?

Thomas Friebel: Zum einen müssen die Daten vorhanden sein. Zum anderen spielt die Datenqualität (beispielsweise fehlende oder falsche Daten) eine große Rolle. Letztlich müssen die vorhandenen Daten dann auch genutzt werden und Dashboards mit den Ergebnissen der Analyse verwendet und gelebt werden.

HDT-Journal: Heute spricht jeder über künstliche Intelligenz. Was bedeutet KI in der Prozessdatenanalyse?

Thomas Friebel: Es zählen viele effiziente Algorithmen beziehungsweise Methoden des maschinellen Lernens dazu. Unter anderem neuronale Netze, die das menschliche Gehirn nachahmen, Clusterbildung und Klassifikation, Entscheidungsbäume zur Modellbildung und Datenvereinfachung mittels Hauptkomponentenanalyse.

Zu allen Methoden werden im Seminar „Prozessdatenanalyse“ praxisnahe Beispiele inklusive Lösungsweg gezeigt und gerechnet. Zur künstlichen Intelligenz gehören neben dem maschinellen Lernen auch der Chatbot, wie ChatGPT oder der Microsoft Copilot, die in aller Munde sind.

HDT-Journal: Welche Rolle spielen künstliche Intelligenz, neuronale Netze und maschinelles Lernen ganz konkret in der Prozessdatenanalyse?

Robert Haber: Die künstliche Intelligenz ist die Abbildung der menschlichen Intelligenz, das heißt ein Versuch, die menschliche Denkweise mit Computern unter Verwendung von raffinierten Algorithmen nachzubilden. Es geht um die Kreierung von intelligenten Systemen, welche autonom, also ohne menschliche Hilfe funktionieren können.

Maschinelles Lernen ist ein Vorgang, um aus historischen Daten Algorithmen zu generieren und diese auf aktuelle Daten anzuwenden. Zu den typischen Anwendungen gehören unter anderem die Beurteilung der Kreditfähigkeit von Personen, die Erkennung von Krankheiten anhand von Anamnese und weiteren Befunden, die Zustandserkennung (Condition Monitoring) von technischen Anlagen, um Schäden vor deren Eintritt zu erkennen und Maßnahmen (Instandhaltung) in Wege zu leiten.

Neuronale Netze sind komplexe, nichtlineare, statische, aber auch dynamische Funktionen. Die Bestimmung der Struktur und das Anlernen der Parameter anhand historischer Daten ist ein Teil des maschinellen Lernens. Mit neuronalen Netzen kann man nicht nur Blackbox-Prozessmodelle bilden, sondern die verschiedensten Funktionen annähern, wie Regelungs-, Vorhersage-, Bilderkennungs- und Klassifikationsalgorithmen. Beim Trainieren einer sehr komplexen neuronalen Netzstruktur spricht man über Deep-Learning.

Im Seminar „Prozessdatenanalyse – Zusammenhänge aus Betriebsdaten der Prozesstechnik bewerten“ zeigen wir verschiedene Netzstrukturen und trainieren ein Black-Box-Modell zwischen den Rohmaterialkomponenten sowie der Zementqualität mittels vorwärts-gerichteter neuronaler Netze. 

Die Methoden des maschinellen Lernens wie zum Beispiel neuronale Netze oder Entscheidungsbäume sind nicht mehr aus der Datenanalyse wegzudenken und die Weiterentwicklung dauert noch an. Je häufiger KI in der Industrie verwendet wird, umso mehr wird die Weiterentwicklung von KI-Algorithmen auch in der Datenanalyse beschleunigt. Die KI soll die Schritte der Datenaufbereitung und Auswertung vereinfachen und automatisieren, damit der Nutzer sich mehr auf die Interpretation konzentrieren kann. 

HDT-Journal: Können Sie unserer Leserschaft ein Beispiel für eine erfolgreiche Prozessoptimierung durch KI-gestützte Datenanalyse geben?

Robert Haber: Nehmen wir ein Beispiel aus dem Alltagsleben. Heutzutage werden Altglas-Sammelbehälter in regelmäßigen Zeitintervallen geleert, unabhängig vom deren Füllstand. Transportkosten könnten eingespart werden, wenn der Füllstand des Behälters für die Transportunternehmen bekannt wäre. Füllstandmesser in jedem Container zu installieren ist teuer. Viel günstiger ist es, den Füllstand mit einem Mikrofon aus dem Geräusch beim Herunterfallen der Flachen zu schätzen. Das Zusammenspiel der örtlichen Auswertung (Edge-Computing) der drahtlosen Übertragung und der Algorithmus in einem Rechenzentrum (Cloud-Computing) bilden die KI-Anwendung.  

Ein anderes Beispiel ist die zustandsorientierte Instandhaltung. Im Seminar „Prozessdatenanalyse – Zusammenhänge aus Betriebsdaten der Prozesstechnik bewerten“ zeigen wir anhand eines Messversuchs, wie man einen Riss in einem Glasbecher anhand des Geräusches beim Anklopfen auf den Becher erkennen kann. 

HDT-Journal: Sehen Sie bei der Skalierung von Prozessdatenanalyse-Systemen, bei der Integration von Daten aus verschiedenen Quellen oder in Bezug auf die ständig wachsenden Datenmengen noch ungelöste Aufgaben?

Thomas Friebel: Es gibt viele seit langem bestehende Probleme, die im Einzelfall betrachtet und gelöst werden können. Häufig ist die Digitalisierung von zum Beispiel analogen R&I-Fließbildern in ein vektororientiertes Format ein nicht automatisierbarer Prozess. Oder es wird eine zweite Produktionslinie in die Datenauswertung hinzugenommen. Dann kann schnell Datenspeicher oder Rechenkapazität knapp werden. Dazu ist in den letzten Jahren ein sehr flexibler Ausweg entstanden, der Weg in die Cloud.

Es ist jedoch zu beachten, dass dabei die Sicherheit von Daten und IT-Infrastruktur ein wesentlicher Punkt im Entscheidungsprozess und beim Betrieb darstellen muss. Datenvorbehandlung mittels Edge-Computing und/oder lokaler Server helfen bei Bandbreitenproblemen und der Reduktion des Datenvolumens.

HDT-Journal: Welche Trends erwarten Sie in den nächsten Jahren und welche Fähigkeiten und (Weiter-)Qualifikationen halten Sie für Fachpersonal in der Prozessdatenanalyse künftig für entscheidend?

Thomas Friebel: Auch heute schon geht die professionelle Datenanalyse über die Fähigkeiten von Standardsoftware wie zum Beispiel MS-Excel weit hinaus. Der Trend geht immer mehr zu spezialisierter Software, bei der wenig bis keine Programmierkenntnisse erforderlich sind. Lösungen zu komplexen Aufgabenstellungen können mit Funktionsbausteinen per Mausklick aufgerufen werden. Hier werden auch KI-gestützte Sprachmodelle zum Einsatz kommen. 

In unserem Kurs zeigen wir Grundlagen solcher Funktionsbausteine, die erforderlich sind, um kompetent professionelle Analysen zu erstellen. Sehr häufig besuchen uns Ingenieure aus der Industrie, um die grundlegenden Auswertemethoden kennenzulernen, um in der industriellen Praxis vorhandene kommerzielle Software, zum Beispiel AspenTech, verstehen und benutzen zu können. 

HDT-Journal: Herr Friebel, Herr Haber, wir danken Ihnen sehr für die Ausführungen und detaillierten Erläuterungen.

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.

Tags: Interview
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