Künstliche Intelligenz und kein Ende … Behalten Optimisten Recht, dann ist die Menschheit von der Schaffung einer künstlichen allgemeinen Intelligenz (Artificial General Intelligence, AGI) kein Jahrzehnt mehr entfernt. Bis dahin nutzt jede Anwendergruppe spezifische, auf die jeweiligen Aufgaben zugeschnittene Werkzeuge, von denen beinahe täglich neue erscheinen.
Universalität existiert als Fernziel ebenfalls in der Robotik und die Frage ist: Werden Roboter bald so lernfähig, flexibel und vielseitig einsetzbar sein, wie es Homo sapiens schon immer war? Zweierlei ist hierfür nötig: geschicktes Greifen und Begreifen. Es geht – anders ausgedrückt – um das elaborierte Ineinandergreifen von Sensorik, Mechanik und maschinellem Lernen.
Weltweit wird hieran auch deshalb unter Hochdruck geforscht, weil sich perspektivisch ein Markt eröffnet, der gar nicht groß genug eingeschätzt werden kann.
Vermeintlich einfachste Dinge bereiten Kopfzerbrechen: Beispiel TU Wien
In Bezug auf neue Einsatzfelder im Haushalt und der Berufswelt interessant sind die Ergebnisse eines Forschungsprojektes der Technischen Universität Wien unter der Leitung von Prof. Andreas Kugi vom Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik. Es zielte darauf ab, lernende Roboter zu schaffen, die vorexerzierte Arbeitsschritte nicht bloß nachmachen, sondern auf andere – untrainierte – Situationen übertragen können.
Gegenstand war etwas scheinbar banales: das Reinigen von Waschbecken. Was Menschen durch Imitation und auf Basis von Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt leicht lernen, ist für die Robotik eine Herausforderung. Selbst für Laien ergibt sich von allein, dass vorgegebene feste Formeln nicht zum erwünschten Resultat führen.
Hierzu Prof. Andreas Kugi: „Die geometrische Form eines Waschbeckens mit Kameras zu erfassen, ist relativ einfach. Viel schwieriger ist es, dem Roboter beizubringen: Welche Stelle der Oberfläche soll er mit welcher Art von Bewegung bearbeiten? Wie schnell? In welchem Winkel? Mit welchem Kraftaufwand?“
Von Motion Primitives zu komplexen Fähigkeiten
Dementsprechend entwickelte das Forscherteam der TU Wien einen mit Kraftsensoren und Tracking-Markern ausgestatteten Putzschwamm zwecks Generierung von Daten. Diese bildeten den Ausgangspunkt für den anschließenden Lernprozess, für den mehrere Techniken des Maschinenlernens kombiniert wurden. Das diente dem Erlernen vordefinierter Bewegungselemente, genannt „motion primitives“.
Mithilfe des neuartigen Ansatzes wird erreicht, dass ein Roboter im Anschluss an ein Vorzeige-Training selbst putzen kann – sowohl das ganze Waschbecken als auch andere kompliziert geformte Objekte. Erstaunlicherweise genügte hierfür das vorherige Zeigen des Putzens einer einzigen Waschbecken-Kante. Doktorand Christoph Unger aus der Industrial Robotics-Gruppe erklärt: „Der Roboter lernt, dass man den Schwamm je nach Oberflächenform anders halten muss, dass man an einer eng gekrümmten Stelle eine andere Kraft aufwenden muss als auf einem ebenen Flächenstück.“
Die Forschungsergebnisse sind interessant im Hinblick auf verschiedenste Bereiche und Prozesse. Roboter könnten ihr erworbenes Wissen sogar nahezu in Echtzeit miteinander teilen. In dem Zusammenhang hat man in Wien natürlich an den Schutz sensibler Unternehmensdaten gedacht. Private Daten – etwa über die Form eines bestimmten Werkstücks – könnten privat bleiben, während sich erlernte Grundprinzipien austauschen lassen, um die Fähigkeiten aller Roboter im Sinne des sogenannten „federated learning“ zu verbessern.
Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Beispiel DFKI, Darmstadt
Am Darmstädter Labor des Deutschen Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz (DFKI) forscht man gleichermaßen intensiv daran, Roboter selbstständig aus Erfahrungen lernen zu lassen. Bei zwei aktuellen, in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt betriebenen Projekten geht es zum einen um das Training der Feinmotorik und zum anderen um das effiziente Trainieren der Fortbewegung von humanoiden Robotern.
Wenn Roboter irgendwann den Alltag meistern sollen, müssen sie Dinge beherrschen, die für die meisten Menschen trivial wirken. Mit derselben Hand sollten sie fallweise ein rohes Ei vorsichtig greifen oder kraftvoll zupacken können. Das Problem: Robotern fehlt das, was wir Fingerspitzengefühl nennen.
Prof. Dr. Jan Peters, Leiter der Forschungsgruppe „Systemische KI für Lernende Roboter“ (SAIROL) am DFKI erläutert: „Ein Roboter weiß nicht automatisch, wie er eine Getränkedose greift, ohne sie zu zerquetschen, da er nicht weiß, wie viel Kraft er dafür aufwenden muss. Das macht den flexiblen Einsatz der Maschinen in unvorhersehbaren Umgebungen, in denen sie auch mit Menschen in Kontakt kommen, schwierig und gefährlich.“
Eine Frage der Daten
Bei der „TacEx“ genannten Lösung der Darmstädter handelt es sich um einen modularen Simulator für taktile Sensoren. Die Maschinen lernen dabei durch simulierte Situationen, in denen sie verschiedene Manipulationsaufgaben lösen und dadurch ihre Feinmotorik trainieren.
Die Fortbewegung ist im Fall von humanoiden Robotern gleichermaßen komplex, da diese weniger Berührungspunkte mit dem Boden haben. Günstig ist, dass dank der Ähnlichkeit mit dem Menschen große Menge an Trainingsdaten existieren. Selbst Videos, die Personen bei der Ausführung von Aufgaben zeigen, eignen sich als Datengrundlage. Nur müssen aus der Fülle an Daten Regeln für das Verhalten der Roboter abgeleitet werden.
Das Darmstädter Forscherteam stellte fest, dass für das erfolgreiche Training der Fortbewegung mit Blick auf ein stabiles Gangbild eine größere und vielfältigere Datenbasis notwendig ist, als im Bereich der Manipulation von Gegenständen. Das nimmt man nun zum Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Ansätze für das Fortbewegungslernen von humanoiden Robotern.
Zusammenfassend ließe sich also salopp sagen: Es läuft für die Robotik-Forschungsstandorte Deutschland und Österreich. Hoffen wir, dass sich die Erkenntnisse künftig in möglichst vielen marktfähigen Produkten wiederfinden, die beiden Ländern neue wirtschaftliche Prosperität bescheren.
Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 14.11.2024
Weitere Informationen:
Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik
Technische Universität Wien
www.tuwien.ac.at
DFKI Kaiserslautern
www.dfki.de
Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.