Die für den Organismus insgesamt schonende, zielgenaue Bekämpfung von Tumorzellen ist ein alter Traum der Medizin. Visionen vom künftigen Einsatz von Nanorobotern muten jedoch heutzutage – noch – nicht wesentlich weniger fantastisch an als seinerzeit Trickaufnahmen von geschrumpften Menschen und Unterseebooten im US-Science-Fiction-Klassiker „Die Reise ins Ich“ von 1987 (und seinem Vorgänger „Die phantastische Reise“ aus dem Jahr 1966).
„Wenngleich die Idee der Schrumpfung makroskopischer Objekte für den medizinischen Einsatz im mikroskopischen beziehungsweise Nanobereich für alle Zeit eine Utopie bleiben dürfte, markierte die Entscheidung der U.S. Food and Drug Administration (FDA) von Ende 2017, erstmals eine mit einem digitalen Tracking-System ausgestattete Tablette zuzulassen, einen wichtigen regulatorischen Wendepunkt“, kommentiert HDT-Journal-Chefredakteur Michael Graef.
In dem Zusammenhang lassen jüngste Forschungsergebnisse der Technischen Universität München (TUM) aufhorchen.
Unter dem Mikroskop beobachtbarer Flossenschlag
Basierend auf einem neuen Mechanismus entwickelte ein Forscherteam der TUM um Brigitte und Christine Kriebisch sowie Job Boekhoven, Professor für Supramolekulare Chemie, kürzlich einen künstlichen Motor auf supramolekularer Ebene. Beeindrucken kann nicht zuletzt die große Kraftentfaltung des aus einem winzigen Band aus speziellen Molekülen bestehenden Gebildes.
Bei ausreichender Energiezufuhr (die Energiequelle bildet ein chemischer Treibstoff) richtet sich der Motor wie eine Flosse aus und kann hierdurch Objekte anschieben. Wie zum Beispiel besagte Nanoroboter, die eines Tages durch Blutbahnen schwimmen und Tumorzellen aufspüren könnten. Der Vorgang des Formwechsels des neuen Motors kann sogar live unter dem Mikroskop beobachtet werden.
Hintergrundinformationen
Bislang kannte man die Umwandlung von chemischer Energie in Rotationsenergie auf supramolekularer Ebene, also bei kleinen Objekten, die aus mehr als einem Molekül bestehen, nur aus der Biologie. Urbakterien, sogenannte Archaea, nutzen den chemischen Treibstoff Adenosintriphosphat (ATP), um ihre Flagellen, das sind winzige flossenartige Fortbewegungsorgane, zu rotieren und sich so fortzubewegen. Synthetische Nachbildungen dieses Prozesses existierten bisher nicht.
Frage der Navigation bereits gelöst
Das Team der TUM entdeckte im Rahmen des Projektes, dass sich die Rotationsgeschwindigkeit der Bänder durch die Menge des zugeführten Treibstoffs steuern lässt. Zudem kann die Rotationsrichtung – im oder gegen den Uhrzeigersinn – durch die Struktur der Molekülbausteine der Bänder beeinflusst werden.
Zu den wichtigsten Ergebnissen im Hinblick auf eine praktische Nutzung zählt überdies die Bestimmung der Kraft, die zusammen mit Prof. Matthias Rief, TUM-Professor für Molekulare Biophysik, gelang. Werden mehrere rotierende Bänder beispielsweise an einem zentralen Punkt zusammengeführt, entstehen kleine „Mikro-Wanderer“, die auf Oberflächen vorankriechen können.
In Zukunft könnte die Entdeckung – nach weiteren Verbesserungen – möglicherweise auch für den zielgerichteten Transport von Medikamenten im Körper eingesetzt werden. Noch ist der verwendete Treibstoff dafür allerdings ungeeignet, da er für den Organismus schädlich wäre.
Originalpublikation:
Kriebisch et al., „Synthetic flagella spin and contract at the expense of chemical fuel
https://doi.org/10.1016/j.chempr.2024.08.016
Weitere Informationen:
Technische Universität München
www.tum.de
Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.