Wann startet das Metaversum durch?

Ein begehbares Internet – diese Idee ist Jahrzehnte alt. So wurden beispielsweise erste Entwürfe virtueller Einkaufszentren präsentiert, noch bevor das „normale“ Online-Shopping richtig durchstartete. Auch im Essener HDT-Stammhaus führte ein Telekom-Team kurz nach der Jahrtausendwende bei einer Roadshow seine Vision einer Zukunft vor, die – Stand heute – nie eintrat. Und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen: Wozu will man, leicht zugespitzt formuliert, dieselbe Ödnis digital reproduzieren, die in der Realität für immer mehr Leerstände sorgt? Wer außerdem will einen unbequemen Datenhelm aufsetzen, bloß um ein Paar Sneaker zu kaufen?

Wo bleibt die Killerapplikation?

Für den Siegeszug von Augmented Reality (AR) im Alltag ebenso wie für Virtual Reality (VR) respektive das Metaversum als Gesamtgefüge aus digitaler und physischer Realität fehlte mit anderen Worten bisher das, was als Killerapplikation bezeichnet wird. Ein Verkaufsargument also, welches eine vorhandene, aber wenig nachgefragte Technologie zu einem Must-have macht. Bezogen auf den Alltag, wohlgemerkt. Denn in Industrie und Forschung sieht die Sache anders aus. Hier existieren bereits viele nicht mehr wegzudenkende Anwendungen.

Für das iPhone war das entscheidende Merkmal vor knapp zwanzig Jahren das mobile Internet in erstmals attraktiver und – hinsichtlich Usabiliy – ausgereifter Form. Für das Tragen von Head-Mounted-Displays beziehungsweise Datenbrillen könnte es künstliche Intelligenz werden, wenn man die jüngsten, eben erst auf der Meta Connect vorgestellten Entwicklungen von Mark Zuckerbergs Meta-Konzern (ehemals Facebook) betrachtet.

KI plus Kontext

„Heute reagieren KI-Systeme meist nur auf Prompts. Metas Ansatz bringt Kontext ins Spiel – der Schritt von Suche zu situativer Assistenz“, kommentiert Philipp Rauschnabel, Professor an der betriebswirtschaftlichen Fakultät der Universität der Bundeswehr München. Für Rauschnabel, der weltweit als einer der einflussreichsten Forschenden im Bereich Augmented Reality gilt, rutscht mit dem „Eye Phone“ von Meta all das, was am Smartphone erledigt wird, in ein transparentes Display direkt vor die Augen.

Bislang handele es sich zwar um keine vollständige AR, doch Rauschnabel sieht in der Lösung trotz der in den Demos erkennbaren Kinderkrankheiten einen richtigen und wichtigen Zwischenschritt. Umsetzung und Vermarktung werden darüber entscheiden, ob sich der Erfolg am Massenmarkt einstellt. Am zu hohen Preis sollte es – entgegen Apples Vision Pro, die ein Vielfaches kostet – jedenfalls nicht scheitern.

3D-Zwilling der Welt

Was demgegenüber das größere Bild betrifft, ist die Angelegenheit komplizierter. Philipp Rauschnabel bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Der Sweet Spot ist mittelfristig klar: mit KI-Brillen Orte scannen, in VR erneut erleben, mittels KI anpassen, und die Anpassungen später in AR am echten Ort erleben. Das Zielbild ist ein kontextuell angereicherter 3D-Zwilling der Welt – der klassische Bildschirm hat ausgedient.“

Zumindest hierzulande könnten, bezogen auf dieses Szenario, allerdings zwei Faktoren zum Problem werden, glaubt nicht nur Philipp Rauschnabel. Zu schwache Netze sind einer davon, Datenschutz ein anderer. Die Debatte um Alphabets Google Glass hat vor zehn Jahren gezeigt: Sind personenbezogene Daten Unbeteiligter involviert, wird es schwierig. 

Nachdem Deutschland bei der KI-Revolution – inklusive Chipentwicklung und Rechenzentren – schon keine (seiner Stellung als führende Industrienation entsprechende) größere Rolle spielt, ist es immerhin nicht mehr ausgeschlossen, dass man sich, nolens volens, auch den Zugang zu wichtigen Metaverse-Anwendungen von morgen verbaut. Das wäre dann Zukunftssicherheit ins Gegenteil verkehrt.

Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 22.09.2025

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz. 

Tags: AR/VR
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