Lithium-Ionen-Batterien heute und morgen: Experteninterview mit Dirk Uwe Sauer

Von modernen Fahrzeugbatterien wird einiges verlangt. Sie sollen ein Maximum an Energiedichte aufweisen, sich schell laden lassen, robust, langlebig und sicher sein sowie günstig und möglichst umweltverträglich produzierbar. Obwohl das erste batteriebetriebene Automobil bereits im vorletzten Jahrhundert konstruiert wurde, ist die Elektromobilität als Massenmarkt ein neues Phänomen. Wesentlich mehr Zeit zur Vervollkommung hatten die Generationen von Verbrenner-Konstrukteuren. Dementsprechend darf man davon ausgehen, dass man beispielsweise über das Thema Reichweite bei Elektroautos schon bald nicht mehr sprechen wird. Auch wird man mit Sicherheit künftig andere Materialien und Verfahren für die Batterieherstellung nutzen. 

Wo wir hingegen heute bei Fahrzeugbatterien technisch stehen und womit sich Hersteller und Forschende aktuell befassen, kann kaum jemand besser beantworten als Prof. Dr. rer. nat. Dirk Uwe Sauer vom ISEA – Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe, RWTH Aachen. Wir sprachen mit dem ausgewiesenen Fachmann, der vielen auch durch die bedeutende internationale Tagung „Advanced Battery Power – Kraftwerk Batterie“ bekannt ist, die er als Chairman in den letzten Jahren ganz wesentlich geprägt hat. 

HDT-Journal: Bei klassischen Verbrennern kaum mehr ein Thema, beschäftigt die Reichweite (zusammen mit der Frage der Auflademöglichkeit) am Kauf eines Elektrofahrzeugs Interessierte noch mit am meisten. Wodurch wird die Reichweite bislang begrenzt? 

Dirk Uwe Sauer: Kommerzielle Lithium-Ionen-Zellen sind heute mit Energiedichten bis zu 300 Wh/kg verfügbar. Die Reichweite in Fahrzeugen ist allerdings mehr durch die Kosten der Batterie begrenzt. Mercedes hat letztes Jahr aber zum Beispiel ein Konzeptfahrzeug in Größe der S-Klasse gebaut, dass eine Reichweite von 1.200 km durch einen sensationell geringen Stromverbrauch von nur etwa 8,6 kWh/100 km erreicht hat. Reichweite ist also immer eine Frage der Größe der Batterie und der Verbrauchswerte in der Anwendung.
 

HDT-Veranstaltungshinweis:
Seminartipp Lithium-Ionen-Batterien für die Elektromobilität – von der Zelle zur Anwendung
 

HDT-Journal: Die Batterie ist bei Elektroautos bekanntermaßen die bei Weitem teuerste Komponente. Existiert ein Zielkonflikt zwischen der Steigerung der Reichweite und der Kostenreduktion?

Dirk Uwe Sauer: Gerade für den Pkw-Markt steht die Entwicklung zu höheren Energiedichten gar nicht im Fokus der Fahrzeughersteller. Zentrale Entwicklungsaufgabe ist die Kostenreduktion. Ausgehend vom chinesischen Markt steigt derzeit der Anteil der Lithium-Eisenphosphat-Batterien in Pkw rasant und hat 2022 bereits einen weltweiten Marktanteil von rund 30 Prozent gehabt. Diese Zellen haben eine deutlich geringere Energiedichte, nutzen aber günstigere Rohmaterialien. 

Ein wesentliches Augenmerk der Fahrzeughersteller liegt aber auf der Verbesserung der Schnellladefähigkeit. Idealerweise sollen irgendwann alle Fahrzeuge in der Lage sein, mit 350 kW aufgeladen werden zu können. Damit kann Energie für eine Reichweite von 100 Kilometern in zwei bis drei Minuten nachgeladen werden.

HDT-Journal: Wie wirkt sich die steigende Nachfrage auf die Verfügbarkeit und die Preise von Lithium-Ionen-Batterien aus? 

Dirk Uwe Sauer: Lithium liegt an den Rohstoffbörsen heute wieder bei etwa der Hälfte der Höchststände vom letzten Jahr, bleibt aber volatil im Preis. Wenn Natrium-Ionen-Batterien einen Teil des Marktes übernehmen können, dann wird das den Druck auf den Lithiummarkt verringern. Kritisch für den Preis der Batterien ist aus aktueller Sicht vor allem auch das verwendete Nickel.

HDT-Journal: Erwachsen hier zusätzliche Anreize, alternative Technologien einzusetzen?

Dirk Uwe Sauer: Lithium-Eisenphosphat hatte 2022 weltweit bereits einen Marktanteil von 30 Prozent, gehört aber an sich auch in die Klasse der Lithium-Ionen-Batterien. Natrium-Ionen-Batterien kommen jetzt kommerziell auf den Markt und haben aufgrund der deutlich geringeren Rohstoffpreise auch im Pkw-Bereich eine gute Marktchance, zumindest im Segment der Fahrzeuge mit moderaten Reichweiten.

HDT-Journal: Welche Herausforderungen bestehen bei der Weiterentwicklung von Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge?

Dirk Uwe Sauer: Die Kosten werden weiter sinken und die Verwendung von Materialien mit kritischer Verfügbarkeit wie Lithium, Kobalt oder Nickel wird reduziert. Dazu können Erhöhungen der Energiedichte beitragen, aber auch Ersatzmaterialien wie Lithium-Eisenphosphat (LFP) oder Natrium-Ionen-Batterien. Sie ermöglichen deutliche Kostensenkungen bei allerdings auch geringeren Energiedichten.

Die großen asiatischen Batteriehersteller verdienen sehr viel Geld mit den Batterien und sind daher auch in der Lage, Milliardenbeträge in die Weiterentwicklung zu stecken. Dadurch werden neue Batteriematerialien, neue Zelldesigns und neue Produktionsverfahren entwickelt, die vor allem dem Ziel der Kostensenkung und der Reduktion des Einsatzes kritischer Materialien dienen. Die Eigenschaften der Batterien werden auch immer weiter ausdifferenziert, sodass für verschiedene Anwendungen Batteriezellen mit optimierten Eigenschaften vorliegen. Gleichzeitig entstehen auch neue Varianten wie die aktuell in den Markt drängenden Natrium-Ionen-Batterien.

HDT-Journal: Welchen Raum nehmen hier Fragen der Sicherheit ein?

Dirk Uwe Sauer: Die Sicherheit ist für die Fahrzeughersteller von höchster Bedeutung. Die Statistiken zeigen, dass die Zahl der Fahrzeugbrände pro Millionen zurückgelegter Kilometer bei Elektrofahrzeugen mindestens um einen Faktor 10 geringer liegt, als dies bei konventionellen Fahrzeugen der Fall ist. Aber wenn ein Fahrzeug brennt, ist die freiwerdende Energie hoch. Auch besteht die Gefahr, dass bei einem Fahrzeugbrand die Batterien benachbarter Fahrzeuge unter ungünstige Bedingungen in Brand geraten können. Trotz spektakulärer Einzelfälle gehen aktuell aber zum Beispiel die Versicherer nicht von einer höheren Schadensgefahr durch den Betrieb von Elektrofahrzeugen aus. 

HDT-Journal: Sofern der Strom eines Tages vollständig aus erneuerbaren Quellen kommt, kann die Elektromobilität wesentlich zur Dekarbonisierung beitragen. Bleiben jedoch die Umweltauswirkungen der Batterieherstellung. Wie steht es um das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien? Gibt es hier noch zu lösende Probleme?

Dirk Uwe Sauer: Prinzipiell gibt es verschiedene technische Wege, aber im Kern werden die Batterien nach vollständiger Entladung zerschreddert und dann werden die verschiedenen Metallfraktionen separiert. Schwierig ist weiter die Rückgewinnung der organischen Materialien (Separatoren, Elektrolyt, Graphit). Grundsätzlich lassen sich aber quasi alle Materialien wiedergewinnen.

Die Frage ist nur, ob die dabei anfallenden Prozessierungskosten höher oder geringer als der Wert der gewonnenen Materialien sind. Seitens der EU sind aber die Sammel- und die Recyclingquoten für die wesentlichen Materialien vorgeschrieben und verschärfen sich in den kommenden Jahren in mehreren Schritten. Die EU schreibt nun auch einen „Batteriepass“ vor, der genaue Informationen über die Zusammensetzung der Batterien enthält. Herausforderungen bleiben aber sicher die Sammlung, die Extraktion der Batterien aus den Fahrzeugen und der sichere Transport in die Recyclinganlagen. 

Die Fragen stellte Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal

Hinweis: Wer noch mehr über das Thema erfahren möchte, dem empfehlen wir das von Prof. Dr. rer. nat. Dirk Uwe Sauer geleitete Seminar „Lithium-Ionen-Batterien für die Elektromobilität – von der Zelle zur Anwendung“. Es stellt Lithium-Ionen-Batterien umfassend vor und gibt einen Überblick über den Stand der Technik und die neuesten Trends. Zum Programm gehören darüber hinaus aufschlussreiche Laborbesichtigungen.

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