Neues zur Arbeitssicherheit beim Betrieb von Krananlagen: Experteninterview mit Thomas Gläser

Jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel? Wer in nachvollziehbarer Weise so denkt – immerhin geht es um Schicksale von Menschen –, dürfte trotz all der gegenwärtigen Diskussionen rund um vermeintlich überbordende Bürokratie eher begrüßen, dass in Deutschland quasi alles geregelt ist.

Dass aber die regelmäßig erforderlichen Anpassungen von Richtlinien, Normen und Verordnungen an gelebte Wirklichkeit und technische Fortentwicklung nicht nur Anwendern in der Praxis Kopfzerbrechen bereiten, sondern auch bei den entsprechenden Behörden und Institutionen sehr viel Arbeit verursachen, ist ein Learning aus dem Gespräch, das wir mit Thomas Gläser, HDT-Fachmann für Krananlagen, im Nachgang zur Fachtagung Arbeitssicherheit beim Betrieb von Krananlagen führen konnten.

 HDT-Journal: Herr Gläser, mit der Fachtagung Arbeitssicherheit beim Betrieb von Krananlagen weist das HDT Teilnehmenden mehrmals im Jahr den Weg durch den Regelungsdschungel, könnte man sagen. Welche Änderungen sind hier aktuell relevant und welches Fazit ziehen Sie zu dem soeben zu Ende gegangenen ersten Termin in 2025?

Thomas Gläser: Fangen wir mit dem zweiten Teil Ihrer Frage an. Das Fazit ist positiv, insbesondere die Gelegenheit zum Austausch und zum Teilen der individuellen Erfahrungen wurde von unseren Teilnehmern einmal mehr sehr wertgeschätzt.  

Was die Änderungen bei Regelungen betrifft, lag der Schwerpunkt bei der Prüfung und beim Betrieb von Krananlagen. Wir gaben einen Überblick über das, was sich im Regelwerk aktuell ändert bzw. demnächst zusätzlich eingebaut wird und somit auf alle Akteure – Hersteller, Betreiber oder Prüfer von Kranen – zukommt.

Der Nachmittag unserer Tagung war für Fachthemen aus der Industrie mit entsprechenden Referenten vorgesehen. Wir behandelten spezielle Themen wie beispielsweise die Verfügbarkeit von Hüttenwerkskranen, also Stahlwerksanwendungen, sowie sicherheitsrelevante Aspekte, die dort zu beachten sind, um Produktionsausfälle zu vermeiden und Arbeitsschutzthemen umzusetzen.

Konkret ging es in einem weiteren Vortrag um faserverstärkte Abspannelemente für Fahrzeugkrane, bei denen man von reinen Stahldrahtseilen auf faserverstärkte Kunststoffelemente umsteigt. Auch über Unfallursachen bei Turmdreh- und Fahrzeugkranen wurde berichtet. Gerade dieser Teil lebte von den Erfahrungsberichten der Teilnehmer.

HDT-Journal: Die neue EU-Maschinenverordnung wirft offenbar ihren Schatten voraus. Was folgt aus ihrer Anwendung ab Januar 2027 für die Branche und welche Hausaufgaben ergeben sich hieraus schon heute?

Thomas Gläser: Das ist ein sehr großes Thema, das nicht nur Krane, sondern alle Maschinen betrifft. Die Maschinenrichtlinie wird geändert bzw. überarbeitet und zur neuen europäischen Maschinenverordnung, die insbesondere für die Hersteller ab 2027 maßgeblich ist.

Unter der Maschinenrichtlinie gibt es derzeit etwa 1.000 Normen, die im Amtsblatt der Europäischen Union gelistet sind und Konformitätsvermutung auslösen. Diese konkretisieren die Maschinenrichtlinie und sollen es den Herstellern erleichtern, deren Anforderungen einzuhalten.

Durch die Überarbeitung der Maschinenrichtlinie zur Maschinenverordnung müssen all diese rund 1.000 Normen von den entsprechenden Normungsgremien überarbeitet werden. Eine enorme Aufgabe. Man muss klar sagen: Die Arbeitsgruppen werden das vermutlich nicht rechtzeitig zum Stichtag im Januar 2027 schaffen, ab dem die neue Maschinenverordnung für die Hersteller von Maschinen und Kranen verbindlich wird.

In diesem Zusammenhang gibt es viele Punkte, die sich in den kommenden Monaten und Jahren erst noch herauskristallisieren werden. Wichtige Themen sind die Cybersicherheit oder der Schutz vor Korrumpierung, mit dem sich auch Kranhersteller auseinandersetzen müssen.
 


Wer ist Thomas Gläser?

Thomas GläserThomas Gläser, M.Eng., SFI/IWE  HDT, Essen, ist als Ingenieur im Bereich Krane und Hebezeuge beim HDT zuständig für Fachvorträge, Normungsarbeit, Qualifizierung/Zertifizierung von Sachverständigen und befähigten/fachkundigen Personen. Gläser war zuvor als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Anhalt in Köthen verantwortlicher Dozent für den Bereich Konstruktion/CAD sowie Projektingenieur für Forschungsprojekte. Zeitgleich war Gläser zudem freiberuflich im Bereich Ingenieurwesen mit Schwerpunkt Projektierung, Konstruktion und Berechnung von Kranen, Hebezeugen und Förderanlagen tätig.


 
HDT-Journal: Dem Vernehmen nach stehen auch Änderungen im berufsgenossenschaftlichen Regelwerk an. Was können Sie unserer Leserschaft dazu sagen?

Thomas Gläser: Hier gibt es mit der Zurückziehung der Unfallverhütungsvorschrift für Krane, die seit 1974 das zentrale Regelwerk für Krane darstellte, tatsächlich ein weiteres großes Thema. Schon seit Längerem steht im Raum, dass sie zurückgezogen werden soll, und die Anzeichen dafür verdichten sich zunehmend. Viele Inhalte dieser Vorschrift sind mittlerweile in anderen Regelwerken enthalten, doch es entstehen auch Lücken, die diskutiert werden müssen. Wie kann man damit umgehen? Diese Frage wird uns in der nächsten Zeit beschäftigen.

HDT-Journal: Seit dem letzten Jahr sind europäische Normen, darunter auch Krannormen, teilweise kostenfrei online einsehbar. Wie kam es dazu und welche Auswirkungen hat das?

Thomas Gläser: Richtig, das ist eine ganz neue Entwicklung. Zwei wesentliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs – das James-Elliott-Urteil und das Malamud-Urteil – haben dazu geführt, dass harmonisierte europäische Normen nun generell kostenfrei einsehbar sein müssen. Man muss sich vor Augen halten, dass es hierbei nicht allein um die bereits erwähnten ca. 1.000 Normen geht, die zur Maschinenrichtlinie veröffentlicht sind, sondern noch deutlich mehr.

Die nationalen Institutionen, die diese Normen eigentlich verkaufen – in Deutschland ist das DIN Media (bis April 2024 Beuth Verlag) – haben eine Plattform geschaffen, auf der Normen zwar nicht heruntergeladen, aber eingesehen werden können.

Man kann einen Antrag bei der Europäischen Kommission stellen, um nach und nach weitere Normen freischalten zu lassen. Es gibt dazu auch kritische Stimmen, da die Finanzierung der Normungsarbeit daran hängt. Für Anwender, die kurzfristig in eine Norm hineinschauen möchten, ist das aber natürlich eine feine Sache.

HDT-Journal: Wie ordnen Sie die überarbeitete Betriebssicherheitsverordnung ein? Gibt es neue Anforderungen an die Betreiber oder Prüfpflichtigen, die zuvor nicht existierten? Was ändert sich an Ihrer täglichen Arbeit?

Thomas Gläser: Die Überarbeitung ist noch nicht abgeschlossen, weshalb es bislang auch noch keinen offiziellen Referentenentwurf gibt. Das heißt, wir reden teilweise etwas ins Unreine. Aktuell ist mit maßgeblichen Änderungen zu rechnen, da Krane künftig nicht mehr in der Betriebssicherheitsverordnung zu finden sein werden. Der Ansatz ist, den für Krane zuständigen heutigen Anhang 3 der Betriebssicherheitsverordnung auszugliedern und in die neue Verordnung für überwachungsbedürftige Anlagen zu überführen. Das bedeutet, dass Krane dann – ähnlich wie Aufzüge oder Druckbehälter – als überwachungsbedürftige Anlagen eingestuft werden.

Jetzt gilt es, die Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und sich rechtzeitig auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Das HDT bleibt auf jeden Fall am Thema dran.

HDT-Journal: Herr Gläser, wir danken Ihnen für die aufschlussreichen Erläuterungen. 

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.

Tags: Interview
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