Von Luft und höchstens noch Liebe leben zu können, ist ein mit dem Perpetuum mobile vergleichbarer Traum. Er scheitert freilich an den unerbittlichen Gesetzen der Thermodynamik. Was ein Wissenschafts-Team der Universität Bern mit australischer und neuseeländischer Unterstützung jetzt nachweisen konnte, ist aber zumindest ein Trost – und verblüfft zugleich. Gemeinsam gelang es, im Labor einen Prozess nachzubilden, der Organismen wie Bakterien befähigt, Energie ohne Sonnenlicht aus Luft zu gewinnen. Eine Erkenntnis, die nicht zuletzt neue Wege zur nachhaltigen Energieerzeugung aufzeigt.
Kontrollierte Knallgasreaktion
Am Anfang stand ein Rätsel: Wie kann es sein, dass die atmosphärische Konzentration von Wasserstoff nahezu konstant bleibt, obwohl jedes Jahr 70 Millionen Tonnen – teils menschengemacht, teils aufgrund photochemischer Prozesse – neu hinzukommen? Lange war der Grund unklar. Inzwischen ist bekannt, dass der Großteil von Mikroorganismen im Erdboden aufgenommen wird. Dank spezialisierter Enzyme, sogenannter Hydrogenasen, absorbieren sie Wasserstoff aus der Luft und nutzen ihn als Energiequelle.
Den zugrunde liegenden Prozess der Energiefreisetzung kennt man aus der Schule – Stichwort Knallgasreaktion. Christoph von Ballmoos, Forschungsgruppenleiter am Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie der Universität Bern und Initiator sowie Letztautor der Studie, erklärt: „In der Bakterienzelle findet im Grunde dieselbe Reaktion statt. Allerdings wird sie strikt durch Enzyme kontrolliert katalysiert und benötigt keine Initialzündung. Die Reaktion in Bakterien ist dabei in mindestens drei Schritte aufgeteilt, um die freigewordene Energie in Form von zellulärer Energie ATP (Adenosintriphosphat – die wichtigste Energiequelle in der Zelle, Anm. d. Red.) zu speichern, statt sie, wie im Knallgasexperiment, als Wärme zu verlieren.“
Leben von Luft ist möglich
Um zu prüfen, ob der theoretische Prozess in Organismen wirklich stattfinden kann, baute das Team eine minimale, synthetische Atmungskette aus aufgereinigten Komponenten nach. Von Ballmoos: „In den Menschen findet die Zellatmung in den Mitochondrien statt und wandelt die aus der Nahrung stammende Energie in ATP um. Dabei werden Elektronen von energiereichen Molekülen schrittweise auf Sauerstoff übertragen. Die so freiwerdende Energie wird genutzt, um einen Protonenzyklus anzutreiben, welcher mittels einer Nanoturbine ATP generiert.“
In der aktuellen Studie wurde eine minimale, synthetische Atmungskette hergestellt – aus nur drei Enzymen, eingebettet in einer künstlichen Lipid-Membran. „Eine Schwierigkeit dieses Experiments, die wir schließlich überwinden konnten, war, die Proteine so in die Membran einzubauen, dass die Protonen in die richtige Richtung gepumpt werden“, erläutert Stefan Moning, Zweitautor der Studie und Doktorand an der Universität Bern.
Die nachgewiesene Reaktion ermöglicht nachhaltige Energiegewinnung
Besonders beeindruckend an den Ergebnissen ist, dass Sauerstoff um den Faktor 400.000 häufiger in der Luft vorkommt als Wasserstoff. Trotzdem genügt der lediglich langsam ablaufende Prozess, dessen einziges Abfallprodukt reines Wasser ist, damit Organismen selbst an lebensfeindlichen Orten gedeihen.
„Die Geschwindigkeit der ATP-Produktion kann um ein Vielfaches gesteigert werden, wenn der Wasserstoff in höherer Konzentration vorliegt. Wenn dies gelingt, zum Beispiel durch licht-katalysierte Wasserspaltung, könnte der Prozess neue Maßstäbe zur ATP-Herstellung in der synthetischen Biologie setzen“, sagt von Ballmoos. Noch seien viele Fragen offen, doch die Verantwortlichen für die Studie sprechen von einem Meilenstein zur Machbarkeit.
Weitere Informationen:
Universität Bern
www.unibe.ch
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Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz.