Künstliche Intelligenz im Automobildesign: Ein Über- und Ausblick

Der aktuell reichste Mensch der Welt, dessen Teams mit großer Eile an einem humanoiden Allzweck-Roboter arbeiten, begreift das Automobil lediglich als eine weitere Kategorie von Robotern. Freilich denkt Elon Musk dabei an sein eigenes angekündigtes selbstfahrendes Cybercab. Künstliche Intelligenz schickt sich aber nicht nur an, das dann obsolete Lenkrad zu übernehmen. 

Über die Automatisierung der Produktion hinaus nimmt die Bedeutung von KI-Assistenten für die Fahrzeugentwicklung immer mehr zu. Im Folgenden sollen konkrete Anwendungsfälle im Automobildesign vorgestellt werden und neben Vorteilen die Herausforderungen zur Sprache kommen.

Doping für das Design

Es wäre ein leichteres Unterfangen, würde man ausschließlich die verbliebenen Bereiche aufzählen, die im Automobildesign ohne jedes Zutun von künstlicher Intelligenz auskommen – wenn einem ein einziger einfiele. Die Fülle existierender Anwendungsfälle macht eine vollständige Abhandlung praktisch unmöglich. Zumal in diesem begrenzten Rahmen. 

Beginnen wir stattdessen mit der wenig überraschenden Feststellung, dass letzten Endes die hauptsächliche Motivation stets in der Beschleunigung der Time-to-Market und der Kostensenkung zu suchen ist. Denn bekanntermaßen dauert die Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells lange und kostet viel Geld. Kein Wunder, dass Veränderungen zwischen den einzelnen Generationen sich zumeist auf Facelifts beschränken.

Zugegeben, behutsame Evolution ist besser als überhastete Versuche einer Revolution. Dem Marketing kommt jedenfalls traditionell die Aufgabe zu, kaum vorhandene Unterschiede zu dramatisieren. 

Drastisch reduzierte Entwicklungsaufwände

Damit könnte bald Schluss sein. Entlastungen bei den Entwicklungsaufwänden, von denen man früher nicht zu träumen gewagt hätte, setzen nach und nach Ressourcen frei für das eigentliche Innovieren.

Besonders augenfällig ist das bei der Crashsicherheit. Aufwände für das Prototyping und Testing lassen sich hier drastisch reduzieren. Bereits vor dem Prototypenstadium kann das spätere Crashverhalten zuverlässig vorhergesagt werden und in Windeseile lassen sich ganze Legionen von Varianten virtuell durchtesten, suboptimale Entwürfe eliminieren und die gelungenen weiter perfektionieren.

Für die hierdurch verstärkt möglich werdende kreative, innovative Weiterentwicklung vermag künstliche Intelligenz im Automobildesign ebenfalls Bemerkenswertes zu leisten. Man kann sich die längerfristigen Auswirkungen nicht ausmalen, doch einen Vorgeschmack bietet die Gestaltung von Fahrzeuginnenräumen.

Lösungen, auf die Menschen allein nie kämen

Das Fahrzeuginterieur-Design bewegt sich innerhalb der komplizierten Schnittmenge zwischen Komfort, Ästhetik und Zeitgeist, Sicherheit sowie Material- und Gewichtseinsatz (was Dingen wie Nachhaltigkeit und Reichweite zugutekommt). Die Aussöhnung all dieser Faktoren beschreiben mit Designaufgaben Befasste – nachvollziehbar – als regelrechte Kunst. Unterstützt durch KI können eventuelle teure Zielkonflikte zwischen Form und Funktion schon von Anfang an, das heißt ab der frühesten Entwurfsphase, vermieden werden. 

Wie die Arbeit an neuen Fahrzeugsitzen zeigt, kann KI in Kombination mit additiver Fertigung sogar hocheffiziente, gewichtsreduzierende, raumsparende und dennoch hoch belastbare Lösungen liefern, auf die Menschen allein nie kämen. Mittels KI entsteht also im Sinne der Emergenz etwas vollständig Neues.

Touch too much

Kommen wir zu einem Beispiel, bei dem sich der Bezug zur KI quasi von selbst ergibt: Fahrerassistenzsysteme. Zu unterscheiden wäre zwischen Systemen, die Menschen beim Fahren unterstützen, und solchen, die menschliche Fahrer überflüssig machen. Wir wollen uns auf Ersteres beschränken.

Was die Benutzerfreundlichkeit von Automobilen betrifft, verspricht man sich von der KI-Unterstützung seitens OEM und Zulieferern einen deutlichen Sprung nach vorn. Das ist – so lange Autos keine rollenden Schlafsäle oder Büros geworden sind – wegen der Konsequenzen für die Fahrsicherheit dringend nötig. Dass sich nämlich beispielshalber Touchsysteme anders als physische Knöpfe und Drehschalter kaum ohne gefährliche „Blindflüge“ von hunderten Metern Länge bedienen lassen (während gleichzeitig das Mobiltelefon ironischerweise tabu ist), wird längst im Hinblick auf die Schaffung regulatorischer Vorgaben diskutiert. 

Oh Schreck, mein Auto versteht mich plötzlich!

Umso vielversprechender sind die Fortschritte bei KI-Sprachsystemen als ablenkungsfreie Alternative. Neben proprietären Lösungen nimmt die Rolle von spezialisierten Anbietern wie SoundHound zu, die für verschiedenste Einsatzzwecke und Branchen wie Callcenter und Customer Care, Hospitality und Mobile Apps entsprechende Lösungen entwickeln.

Man darf gegenüber den derzeit eingesetzten, meist unnatürlich langsamen und mitunter leicht zu überfordernden Systemen bald mit echten Durchbrüchen rechnen. Das Ganze wird indes mehr oder weniger als Wettlauf mit dem autonomen Fahren stattfinden.

Weitere KI-Anwendungsfälle im Automobildesign 

Als weiterer herausragender KI-Anwendungsfall sei die Antriebsentwicklung genannt. Egal ob in puncto Verbrennungsprozesse oder bei der Alterung von Batterien für Elektrofahrzeuge – in jedem Fall machen sich Entwicklungssprünge für die Kundschaft gleich in zweifacher Weise positiv bemerkbar. Einerseits können Einsparungen bei Entwicklungsarbeit, Materialeinsatz und in der Produktion als Preisvorteile weitergegeben werden. 

Andererseits tragen auch Verbesserungen bei Qualität, Langlebigkeit und Verbrauchswerten (auf die eine ebenso mithilfe von KI verbesserte Aerodynamik einzahlt) zur Wirtschaftlichkeit von Fahrzeugen bei. Wobei offen ist, wie weit sich die Alternative des Mobilty-as-a-Service zukünftig durchsetzen wird.

Zu Risiken und Nebenwirkungen

KI gilt heute, so hört man von verschiedensten Seiten innerhalb der Branche, als Schlüsseltechnologie für das Automobildesign und darüber hinaus. Kommt fortan mühelos auf Knopfdruck die perfekte Lösung für alle Probleme und Wechselfälle des Designerlebens? Vergessen wir die – Sie ahnen es – rhetorisch gemeinte Frage schnell wieder und kommen wir zu den unvermeidbaren Risiken und Nebenwirkungen, die noch jeder Technologie innewohnten.

Über das Halluzinieren von KI wurde schon viel berichtet. Viele weitere Unzulänglichkeiten wie verzerrte Interpretationen von Wirklichkeit durch KI-Bias oder schlichtweg fehlerhafte Angaben fallen im Laufe der Zeit jedem auf, der KI-Assistenten nutzt und die Resultate eines kritischen Blicks unterzieht. 

Reverse Engineering

Von professionellen Anwendern in Entwicklungsabteilungen wird das selbstverständlich gewusst, weshalb zum Teil regelrechtes Reverse Engineering betrieben wird, um zu verhindern, dass sich zuvor korrigierte Fehler erneut einschleichen. Das heißt mitnichten, dass der Einsatz von KI aufgrund des Mehraufwandes an manchen Stellen am Ende zum Nullsummenspiel wird. 

Im Gegenteil überwiegen die Vorteile bei Weitem. Außerdem wird man sich auf zweierlei verlassen dürfen: Künftige Generationen von KI-Assistenten werden zum einen auf vielerlei Weise ausgereifter sein und anfängliche Unzulänglichkeiten hinter sich lassen. Zum anderen wird künstliche Intelligenz selbst zunehmend helfen, KI zu überwachen und Arbeitsergebnisse zu verifizieren.

Niemals blind vertrauen

Manche Menschen haben vor dieser vermeintlichen Verselbstständigung Angst. Was kann man ihnen sagen? Vielleicht, dass man es in der Vergangenheit geschafft hat, sich mit weitaus weniger ausgefeilten Technologien in große Schwierigkeiten zu bringen.

Man denke etwa an den sogenannten Xerox-Bug, 2013 aufgedeckt durch den deutschen Informatiker David Kriesel. Ein fehlerhaftes Kompressionsverfahren verfälschte bei in riesiger Stückzahl verkauften Kopierermodellen willkürlich Dokumente, sodass niemand sagen kann, aus wie vielen Konstruktionsplänen oder Werkstoffdatenblättern (um bloß zwei Beispiele zu nennen) tickende Zeitbomben geworden sind.

Wenn man somit nicht einmal Kopierern blind vertrauen kann, müssen wir bei KI erst recht hellwach bleiben. Zusammen mit technischem Grundverständnis sollte daher schon in der Schule eingeschärft werden, dass sozusagen der Autopilot kein Modus für ein erfolgreiches Leben und Arbeiten ist.

Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 22.01.2025

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz. 

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