Countdown 100: Welt am Draht – und drahtlos verbunden

In unserer Serie aus Anlass von – demnächst – 100 Jahren HDT darf ein Thema unter keinen Umständen ausgespart bleiben: Kommunikation respektive Kommunikationstechnologie. Auf der einen Seite versteht sich das deswegen von selbst, da ohne Mitteilung und Unterredung – so die lateinische Ursprungsbedeutung des Wortstammes – keinerlei Austausch von Wissen und Erfahrungen stattfände. Und um den dreht sich beim HDT schließlich alles.

Auf der anderen Seite zeigt die Entwicklung der Kommunikationsmittel, der Medien und der Massenkommunikation besonders anschaulich, wie sehr sich die Welt seit Gründung von Deutschlands ältestem technischen Weiterbildungsinstitut gewandelt hat. Wenige Streiflichter genügen, um das zu belegen.

Bitte wählen!

Bereits kurz nach Reichsgründung – und vier Jahrzehnte vor HDT-Gründung – sorgte im Ruhrgebiet der erste Telefonanschluss für eine starke Beschleunigung der Kommunikation. War zu Beginn noch das legendäre „Fräulein vom Amt“ erforderlich, machten Selbstwählsysteme ab Anfang der 1920er-Jahre die manuelle Vermittlung von Gesprächen in Telefonzentralen nach und nach entbehrlich.

Dass man knapp ein Jahrhundert später allüberall sogar auf Schritt und Tritt schnur- beziehungsweise drahtlos erreichbar sein würde, werden nur die wenigsten geahnt haben. Und doch enthält die 1910 erschienene Anthologie „Die Welt in hundert Jahren“, herausgegeben von Arthur Bremer, einem Mitbegründer der Berliner Morgenpost, detaillierte Beschreibungen weltweiter Mobiltelefonie – und von Gerätschaften, die heutigen Smartphones ähneln.

Zu viel des Guten

Damit hätten wir quasi jenes  gegenwärtige universelle Empfangs- und Sendegerät apostrophiert, welches sämtliche bisherigen Angebote und Technologien  – und mehr – in sich vereint. Telefon, Foto- und Filmkamera, Computer und Internetzugang, Messaging- und Bezahl-Dienste, Videoconferencing … Jeder kennt es, fast jeder nutzt es.

Insgesamt brachte das Smartphone so viele neue Auswahl- und Nutzungsmöglichkeiten, dass Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ betitelte Warnung vor medialen Auswüchsen aus den 1980er-Jahren heutzutage geradezu putzig anmutet. Insbesondere deshalb, weil man inzwischen weiß, dass exzessive Smartphone-Nutzung vergleichbar auf das Belohnungssystem des Gehirns einwirkt wie chemische Drogen.

Ab jetzt in Echtzeit

Machen wir noch einmal einen Sprung in die Vergangenheit. Vor rund hundert Jahren verband sich mit dem Radio die erste massenmediale Revolution im Sinne einer Echtzeit-Ankopplung an das Weltgeschehen. Erstmals verfolgten Menschen nun die Nachrichten, während sie entstanden – bei den frühesten Live-Übertragungen von Sportereignissen etwa. 

Radioreporter der ersten Stunde entwickelten die Kunst, spontan mit Worten eine bildhafte Vorstellung der Geschehnisse beim Publikum zu erwecken. Als erstaunliches Ergebnis konnten beispielsweise Zuhörerinnen und Zuhörer leicht das Gefühl bekommen, den Ball tatsächlich im Netz des Fußballtors zappeln zu sehen …

Das neue Weltbild

Das gesagt habend, ließe sich trefflich über die Frage streiten, ob die Fantasie unter der späteren Einführung des Fernsehens gelitten hat. Bis dahin dauerte es jedoch noch eine Weile. Obschon das Verfahren der Bildzerlegung als Voraussetzung für die Übertragung von Bildsignalen Anfang der 1880er-Jahre in Grundzügen durch Paul Nipkow realisiert worden war, gab es das erste reguläre Fernsehprogramm der Welt erst 1935. 

Dementsprechend fiel das Debüt des neuen Massenmediums in die Zeit maximaler propagandistischer Nutzung. Allerdings lag der Fokus aufgrund der geringen Verbreitung von Fernsehgeräten weiter auf Radioprogrammen. Pläne zur Fertigung eines deutschen Einheits-Fernseh-Empfängers – analog zum Radio-Volksempfänger – ab 1939 wurden wegen der kriegsbedingten Beschränkungen nicht mehr umgesetzt.

Seeing is believing

Angeführt von den USA wurde Fernsehen nach dem Zweiten Weltkrieg bekanntermaßen schnell zum Massenphänomen. Für das Überschreiten der Zuschauer-Millionengrenze brauchte es in der Bundesrepublik indes rund ein Jahrzehnt länger, nämlich bis 1957. 

Fortan galt das Prinzip „Seeing is believing“. Man war – scheinbar – mit dabei, als Geschichte geschrieben wurde. Bei der Fußball-WM des Jahres 1954 zum Beispiel, als der DFB-Auswahl das „Wunder von Bern“ gelang. Oder sieben Jahre später, beim Bau der Berliner Mauer. Mit Kubakrise, Kennedy-Ermordung und Mondlandung gingen die 1960er-Jahre turbulent weiter – und stets waren es Fernsehbilder, die Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterließen.

Von der Manipulation zur totalen Simulation

Heute kommen die Bilder, die die Welt bewegen, meist über das Internet. Jahre vor dessen Siegeszug – und lange vor TikTok, „alternativen Fakten“, KI-generierten Deepfakes und „Psychographic messaging“ als gezielte Einflussnahme auf demokratische Prozesse in sozialen Netzwerken – stellte Bill Gates die These auf, dass derjenige, dem es gelingt, die Bilder zu kontrollieren, auch das Denken kontrolliert.

Auf die immer geschicktere Manipulation wird früher oder später die totale Simulation – das Metaversum – als alternative Realität folgen. Der Titel dieses Beitrags ist vor diesem Hintergrund bewusst gewählt, einen Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1973 zitierend. Sein „Welt am Draht“ stellt eine mittels Supercomputer simulierte Welt vor, die ihre Bewohner für die Realität halten. 

Kaum weiter als vor zweieinhalb Jahrtausenden?

Wen das übrigens an The Matrix von 1999 erinnert: Beide Werke haben eine gemeinsame literarische Vorlage. Viel bemerkenswerter ist, dass uns das Ganze gedanklich gleichzeitig mindestens zweieinhalb Jahrtausende zurückführt – zu den Überlegungen Platons über das wahre Wesen des Seins. 

Man muss es wohl so sagen: Allem technologischen Fortschritt zum Trotz ist die Menschheit in Bezug auf die ontologischen Grundfragen in all der Zeit wenig vorangekommen. Offenbart uns vielleicht eines Tages eine künstliche allgemeine Intelligenz (Artificial general intelligence), was das Universum und wir selbst wirklich sind?

Autor: Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal, 19.11.2025

Bildhinweis:
Unser Titelbild entstand unter Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz. 

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