Wer bis vor Kurzem noch meinte, der Strom käme (automatisch) aus der Steckdose, wurde nach dem 24. Februar 2022 eines Besseren belehrt. Die Versorgungssicherheit steht seither im Zentrum der Aufmerksamkeit, verbunden mit der insbesondere für die Industrie und den Mittelstand entscheidenden Frage der Bezahlbarkeit von Energie. Hinzu kommt die Jahrhundertaufgabe der Dekarbonisierung. Womit wir mitten im Thema der ersten Folge unserer neuen Reihe „HDT-Journal erklärt“ wären.
Diesmal geht es um die Frage, wie aus (kostenlosem) Wind möglichst viel Strom wird. Antworten darauf und auf zahlreiche weitere damit verbundene Fragen liefert Dipl.-Wirt.-Ing. Andreas Pick, Leiter Projektentwicklung Windkraft bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Stuttgart. Beim HDT leitet der ausgewiesene Windenergie-Fachmann außerdem das Einführungsseminar „Windenergie Grundlagen“.
HDT-Journal: Welches sind die physikalischen Prinzipien, die der Windenergieerzeugung zugrunde liegen? Oder anders gefragt: Wie verwandelt man Wind in elektrischen Strom?
Andreas Pick: Eine Windenergieanlage ist ein mehrfacher Energiewandler. In einem ersten Schritt wird die kinetische Energie, die in der Luftmassenbewegung des Windes enthalten ist, durch den Rotor einer Windenergieanlage in die mechanische Energie einer Drehbewegung gewandelt. Dieser Energiewandlungsschritt macht sich aerodynamische Grundlagen zunutze. Heutige Windenergieanlagen nutzen hierzu die Auftriebskraft. Das bedeutet, dass die Luftmassen das aerodynamische Profil des Rotorblattes umströmen und dadurch eine Auftriebskraft in Rotationsrichtung des Rotors bewirken. Die dadurch gewonnene mechanische Energie wird als Drehbewegung über die Rotorwelle in den mechanischen Triebstrang der Windenergieanlage weitergeleitet.
Die Umwandlung der mechanischen Energie erfolgt in einem weiteren Schritt und findet in einem klassischen Generator statt. Der entspricht in seinen Grundsätzen und Wirkungsweisen den Generatoren in thermischen Kraftwerken, Wasserkraftwerken et cetera. Kurz erklärt erzeugt dabei ein drehendes Magnetfeld um die sich drehende Generatorwelle herum in einem statischen Magnetfeld um das Generatorgehäuse mittels der magnetischen Feldkräfte einen Elektronenfluss und damit elektrischen Strom.
HDT-Journal: Welche Bedeutung hat die Windgeschwindigkeit und mithin die Wahl des Standortes für die Leistungsfähigkeit und Effizienz von Windkraftanlagen?
Andreas Pick: Eine Windenergieanlage setzt den in einer Luftmassenströmung, also dem Wind, enthaltene Energie um und wandelt diese in elektrischen Strom. Hierbei liegen die Wirkungsgrade heutiger Windenergieanlagen rund um 50 Prozent. In der Praxis wird die Effizienz einer Windenergieanlage an einem konkreten Standort daher hauptsächlich vom Windenergiedargebot des Standorts bestimmt.
Die in einer Luftmassenströmung enthaltene Energie (P) lässt sich physikalisch mit der Formel P=A*ρ*v³ beschreiben. Hierbei steht A für die durchströmte Fläche, im Fall einer Windenergieanlage ist das vereinfacht gesagt der Rotorkreis. Die Luftdichte ρ ist standortabhängig. Sie wird maßgeblich vom Luftdruck und damit der Höhe eines Windenergiestandortes über Meereshöhe sowie der Durchschnittstemperatur am Standort beeinflusst, wobei ein geringerer Luftdruck (bei höher gelegenen Standorten) oder eine höhere Temperatur zu einem geringeren Energiegehalt in der Luftmassenströmung führen. Der dritte Parameter, v, ist die Strömungsgeschwindigkeit der Luftmasse, also die Windgeschwindigkeit. Diese geht im Gegensatz zu den beiden anderen Parametern in dritter Potenz in die Formel ein, das heißt ein Anstieg der Windgeschwindigkeit führt nicht zu einem linearen, sondern einem stark exponentiellen Anstieg des Energiegehaltes.
Aus diesem Grund ist die am Standort herrschende durchschnittliche Windgeschwindigkeit mit Abstand das wesentliche Kriterium für die Wahl eines geeigneten Standortes. Bereits ein Sprung in der Windgeschwindigkeit von durchschnittlich 6 m/s auf 7 m/s (also 12,5 Prozent Steigerung) führt zu einem potenziellen Mehrertrag einer von rund einem Drittel (also 33 Prozent Steigerung).
HDT-Journal: Der Strombedarf steigt immer weiter. Die Erneuerbaren müssen daher mehr als nur Schritt halten, wenn die Energiewende gelingen soll. Wie also lassen sich – zusätzlich zum Bau von immer weiteren Anlagen und Windparks – Effizienz und Leistung von Windkraftanlagen künftig verbessern?
Andreas Pick: Betrachtet man die Entwicklung kommerzieller Windenergieanlagen von ihren Anfängen in der 1980er-Jahren bis heute, so lässt sich vor allem eines feststellen: Die Windenergieanlagen sind in ihren Dimensionen Höhe und Rotordurchmesser deutlich gewachsen. Zwar lässt sich auch der Wirkungsgrad einer Windenergieanlage durch Optimierungen, zum Beispiel der Verbesserung des aerodynamischen Wirkungsgrades durch ein optimiertes Rotorblattdesign, deutlich steigern. Diese Entwicklungen gehen jedoch auch mit höheren Produktionskosten und damit höheren spezifischen Preisen für die Windenergieanlagen einher.
In der Praxis hat das bereits dazu geführt, dass ein Hersteller, dessen Windenergieanlagen die deutlich besten Wirkungsgrade aufwiesen, aufgrund hoher Verkaufspreise an Marktanteilen verloren hat und zwischenzeitlich bei seinen aktuellen Produktlinien wieder auf günstiger zu produzierende Anlagen mit einem schlechteren Wirkungsgrad setzt.
Aufgrund dieser Entwicklungen kann der Schluss gezogen werden, dass ein technisch-wirtschaftliches Optimum im Bereich der Wirkungsgrad-Produktionskosten-Beziehung besteht und die weitere Steigerung von Effizienz und Leistung von Windenergieanlagen auch in den kommenden Jahren vor allem durch ein Größenwachstum der Windenergieanlagen gekennzeichnet sein wird.
HDT-Journal: Bleiben wir bei der Wirtschaftlichkeit. Welche weiteren Faktoren beeinflussen die Rentabilität von Windenergieprojekten beziehungsweise Windenergieanlagen?
Andreas Pick: Da Windenergieprojekte in Deutschland vornehmlich durch privatwirtschaftliche Unternehmen realisiert werden, kommt der Wirtschaftlichkeit eines Windenergieprojektes eine ganz entscheidende Rolle zu. Nur, wenn ein Windenergieprojekt aus Sicht des Investors wirtschaftlich attraktiv ist, wird es auch realisiert werden.
Die Faktoren, welche die Rentabilität eines Windenergieprojektes beeinflussen, lassen sich dabei in zwei Sphären aufteilen, nämlich die Ertrags- und die Kostensphäre. Auf der Ertragsseite spielt neben der „Stromernte“, also letztlich dem Windertragspotenzial des Standorts auch der Strompreis eine Rolle, da Stromertrag multipliziert mit dem Strompreis den finanziellen Ertrag eines Windparks ergeben.
Während bis vor kurzem noch die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geregelte Einspeisevergütung den Strompreis klar definiert hat, lassen sich zwischenzeitlich am Strommarkt teilweise attraktivere Preise generieren, so dass auch eine gute Vermarktung des erzeugten Stroms zu einem wesentlichen Faktor für die Wirtschaftlichkeit wird.
Auf der Kostenseite spielen die einmaligen Investitionskosten und die laufenden Betriebskosten eine Rolle. Faktoren, die sich hier auf die Rentabilität eines Windenergieprojektes auswirken können, sind zum Beispiel die Entfernung zum nächstmöglichen geeigneten Netzanschlusspunkt, die Bodenverhältnisse des Standorts und der dadurch bedingte Aufwand für das Fundament oder die Erreichbarkeit des Standortes und der dadurch bedingte Aufwand für die Lieferlogistik.
HDT-Journal: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – das gilt nicht nur für die Pharmakologie. Welche konkreten Umweltauswirkungen sehen Sie bei Windkraftanlagen? Und daran angeschlossen die Frage: Inwieweit berücksichtigt man das Thema bei der Planung und Genehmigung von Windenergieprojekten?
Andreas Pick: Die wesentlichen Umweltauswirkungen bei Windenergieanlagen sind Schallemissionen, Schlagschattenwurf durch die drehenden Rotoren sowie artenschutzrechtliche Auswirkungen insbesondere auf bestimmte Greifvogelarten und Fledermäuse. Alle diese Auswirkungen müssen im Rahmen der Projektentwicklung eines Windparks am konkreten Standort untersucht und durch Fachgutachten dokumentiert werden. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens wird dann durch die Genehmigungsbehörde anhand dieser Gutachten geprüft, ob alle verbliebenen Umweltauswirkungen innerhalb des gesetzlich zulässigen Bereichs liegen.
Bei Schallemissionen müssen zum Beispiel klar definierte Grenzwerte unterschritten werden, bei artenschutzrechtlichen Auswirkungen ist sicherzustellen, dass keine Verbotstatbestände des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) berührt werden. Ist dies nicht gegeben, besteht die Möglichkeit, die betreffenden Umweltauswirkungen durch Auflagen oder Anpassungen des Projektes in den zulässigen Bereich zu bringen.
Bei einer Überschreitung der Schallgrenzwerte können Windenergieanlagen zum Beispiel in einem schallreduzierten Modus betrieben werden, bei einem artenschutzrechtlichen Konflikt mit Fledermäusen haben sich wetter-, tages- und jahreszeitabhängige Abschaltungen in den Hauptaktivitätszeiten der Fledermäuse als genehmigungsrechtliche Auflage etabliert.
HDT-Journal: Strom mithilfe von Wind zu produzieren ist das eine. Etwas anderes ist die Verteilung und Speicherung. Welche Rolle spielen Ihrer Ansicht nach Speichertechnologien und intelligente Energiemanagementsysteme beim weiteren Ausbau und der Integration von Windenergie in das Stromnetz?
Andreas Pick: Windenergie ist – ebenso wie die Photovoltaik als zweite große erneuerbare Energiequelle – intermittierend, das heißt sie stellt Energie nur dann zur Verfügung, wenn Wind weht beziehungsweise bei Photovoltaik die Sonne scheint. Im Jahr 2021 haben alle Windenergieanlagen Deutschlands (on- und offshore) zusammen in ihrer besten Viertelstunde eine Leistung von 46.902 MW erzielt. Im Durchschnitt des Jahres 2021 hat derselbe Anlagenpark aber nur eine Leistung von 12.785 MW erzielt und in der schwächsten Viertelstunde waren es gerade einmal 137 MW.
Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll, dass ein weiterer Ausbau intermittierender Energieerzeuger wie Windenergieanlagen nur dann sinnvoll ist, wenn parallel auch eine disponible, also regelbare Komponente in der Stromerzeugung vorhanden ist, die durch ein intelligentes Energiemanagement mit der intermittierenden Leistung verknüpft wird.
Aufgrund der begrenzten Potenziale von klassischen Batteriespeichern und Pumpspeicherkraftwerken werden hierfür vor allem Gasturbinenkraftwerke gesehen, die zukünftig mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Auf diese Weise ließe sich dann auch für ein dicht besiedeltes Industrieland wie Deutschland eine Stromversorgung schaffen, die zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien basiert und dennoch bedarfsgerecht Strom produzieren kann.
Die Fragen stellte Michael Graef, Chefredakteur HDT-Journal